Rn 2
Entsprechend der Funktion der Berufung (Rn 1) nennt die Vorschrift zwei Berufungsgründe, auf denen die Unrichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils beruhen kann. Nur diese sind für die Berufungsbegründung (§ 520) und für den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts (§ 529) maßgebend.
I. Rechtsverletzung.
1. Begriff.
Rn 3
Durch den Hinweis auf § 546 wird definiert, was das Gesetz unter dem Begriff der Rechtsverletzung versteht: Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Das ist zB der Fall, wenn eine für die erstinstanzliche Entscheidung einschlägige Norm übersehen, zu Unrecht für nicht anwendbar erklärt, ihr durch Auslegung ein unzutreffender Inhalt beigemessen oder der festgestellte Sachverhalt unzutreffend unter die maßgebliche Norm subsumiert wurde.
Rn 4
Das Recht ist auch verletzt, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Individualvereinbarung nach §§ 133, 157 BGB zwar vertretbar, aber nicht sachlich überzeugend ausgelegt hat. In diesem Fall hat das Berufungsgericht, das die Auslegung in vollem Umfang und nicht nur – wie das Revisionsgericht – darauf überprüfen muss, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen wurde (BGH BB 16, 1997), die Auslegung selbst vorzunehmen, die es als Grundlage einer sachgerechten Entscheidung des Einzelfalls für geboten hält (BGHZ 160, 83, 86 ff).
Rn 5
Dasselbe gilt für Ermessensentscheidungen des erstinstanzlichen Gerichts nach § 287 ZPO. Sie verletzen nicht nur dann das Recht, wenn sie auf Ermessensnichtgebrauch oder -fehlgebrauch beruhen, sondern auch dann, wenn sie sachlich nicht überzeugen. Gelangt das Berufungsgericht aufgrund vollständiger Überprüfung zu dieser Einschätzung, muss es sein eigenes Ermessen ausüben und dieses an die Stelle des Ermessens des Vorderrichters setzen (BGH NJW 06, 1589, 1591f [BGH 28.03.2006 - VI ZR 46/05]).
2. Rechtsnorm.
Rn 6
Zu den Rechtsnormen, mit deren Verletzung die Berufung begründet werden kann, gehören alle materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften, also Gesetze, Rechtsverordnungen, über den innerdienstlichen Bereich hinausgehende Verwaltungsanweisungen, Gewohnheitsrecht und Völkerrecht. Wer die Normen erlassen hat, ist ohne Belang. Der Überprüfung im Berufungsverfahren unterliegt deshalb die Anwendung von europarechtlichen und sonstigen ausländischen Vorschriften, Bundes- und Landesrecht sowie Satzungen öffentlichrechtlicher Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Auch die allgemeinen Denkgesetze und Erfahrungssätze sind Rechtsnormen idS, ebenso die eine Vielzahl von Personen oder Sachverhalten betreffenden privatrechtlichen Satzungen sowie Allgemeine Geschäftsbedingungen.
3. Kausalität.
Rn 7
Die angefochtene Entscheidung muss auf der Rechtsverletzung beruhen. Wann das der Fall ist, beurteilt sich nach dem Objekt der Rechtsverletzung. Auf der Verletzung einer materiell-rechtlichen Norm beruht die Entscheidung, wenn sie ohne den Rechtsfehler für den Berufungsführer im Ergebnis günstiger ausgefallen wäre. Wurde jedoch eine verfahrensrechtliche Norm verletzt, beruht die Entscheidung bereits dann hierauf, wenn sie ohne den Rechtsfehler möglicherweise anders ausgefallen wäre.
Rn 8
Da auch die Revision nur Erfolg haben kann, wenn sie auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 545 I), und der Begriff der Rechtsverletzung bei beiden Rechtsmitteln derselbe ist (§ 546), ist es nur konsequent, die für das Revisionsverfahren geltende Vorschrift des § 547 im Berufungsverfahren entsprechend anzuwenden. Deshalb ist die angefochtene Entscheidung stets als auf einer Rechtsverletzung beruhend anzusehen, wenn ein Verfahrensverstoß des erstinstanzlichen Gerichts, wäre er dem zweitinstanzlichen Gericht unterlaufen, ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 wäre.
II. Tatsachenfeststellung.
Rn 9
Neben der Rechtsverletzung kann die Berufung auch darauf gestützt werden, dass nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dafür kommen zwei Fälle in Betracht. Zum einen, wenn dem erstinstanzlichen Gericht Fehler bei der Tatsachenfeststellung unterlaufen sind, die nicht auf einer Rechtsverletzung beruhen, so dass das Berufungsgericht die Tatsachen neu feststellen muss; zum anderen, wenn wegen Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die in der 1. Instanz nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf Nachlässigkeit der Partei beruht (§ 531 II Nr. 3), eine neue Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht notwendig ist (§ 529 I Nr 2). Die Berufung kann sogar ausschließlich mit neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln begründet werden, wenn diese zu berücksichtigen sind; eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils ist dann nicht notwendig (BGH NJW-RR 07, 934, 935 [BGH 27.03.2007 - VIII ZB 123/06]). In beiden Fällen muss die neue Tatsachenfeststellung dazu führen, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts für den Berufungsführer günstiger als die angefochtene Entscheidung ist.
Rn 10
Nicht hierher gehört die Tatsachenfeststellung des...