Gesetzestext
1Auf das weitere Verfahren sind die im ersten Rechtszuge für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Abschnitts ergeben. 2Einer Güteverhandlung bedarf es nicht.
A. Systematik, Zweck, Anwendungsbereich.
Rn 1
Nach der schriftlichen Einleitung und Vorbereitung des Berufungsverfahrens in den §§ 511–524 regeln die §§ 525 ff den weiteren Ablauf des Berufungsverfahrens. Dies geschieht zT mit einer Verweisung auf das erstinstanzliche Verfahren in den §§ 253–494a, zT mit besonderen, hiervon abweichenden Vorschriften in den §§ 525–541. Die tw Bezugnahme auf das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten ist möglich, auch wenn das Berufungsverfahren nach der ZPO-Reform 2002 nicht mehr in einer Wiederholung dieses erstinstanzlichen Verfahrens (›zweite Chance‹) besteht, sondern mit der Fehlerkontrolle und -beseitigung eine eigene Funktion erhalten hat. Gemeinsamkeiten des erstinstanzlichen und des Berufungsverfahrens ergeben sich aus den Erfordernissen anwaltlicher Vertretung, mündlicher Verhandlung und Tatsachenfeststellung, Unterschiede aus der Bindung an die bereits vorliegenden Prozessergebnisse.
Rn 2
§ 525 gilt für alle zivilprozessualen Berufungsverfahren, unabhängig davon, ob diese vor dem LG oder vor dem OLG laufen. Er gilt auch für WEG-Verfahren. Auf arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren vor den LAG ist die Vorschrift gem § 64 VI ArbGG entsprechend anzuwenden, die Vorschriften des ArbGG verdrängen die §§ 253 ff dabei nur insoweit, als dies in § 64 VII ArbGG ausdrücklich vorgesehen ist (St/J/Grunsky § 523 aF Rz 2). Mangels Verweisung auf § 54 ArbGG in § 64 VII ArbGG findet eine Güteverhandlung vor dem LAG nicht statt.
B. Anwendbarkeit der erstinstanzlichen Verfahrensvorschriften.
I. Unmittelbare Anwendung.
Rn 3
Auch ohne besondere gesetzliche Anordnung gelten für das Berufungsverfahren unmittelbar die allgemeinen Vorschriften des Buchs 1 (§§ 1–252). Dies gilt namentlich für die Pflicht zur Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen vAw aus § 56 (BGH NJW 04, 2523 [BGH 04.05.2004 - XI ZR 40/03]), die materielle Prozessleitungspflicht aus § 139 (BGH NJW-RR 07, 17 [BGH 28.09.2006 - VII ZR 103/05]), die grundsätzliche Pflicht zur mündlichen Verhandlung (§ 128 I; zum tw abw Ablauf der mündlichen Verhandlung Eichele/Hirtz/Oberheim/Oberheim Kap 16 Rz 155 ff) und ihre Ausnahmen (§ 128 II–IV) sowie die Pflicht zur Wiedereröffnung einer bereits geschlossenen mündlichen Verhandlung aus § 156. Die allgemeinen Vorschriften über die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung (§§ 129 ff) sind durch die §§ 519–521 modifiziert.
Rn 4
Bei der Anwendung dieser Vorschriften auf das Berufungsverfahren ist den Besonderheiten der 2. Instanz Rechnung zu tragen. So trifft das Berufungsgericht eine Hinweispflicht (§ 139) nur, soweit es zu Lasten einer in 1. Instanz erfolgreichen Partei von der Entscheidung des Erstgerichts abzuweichen beabsichtigt und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (BVerfG Beschl v 7.10.16 – 2 BvR 1313/16; BGH NJW-RR 06, 937 [BGH 15.03.2006 - IV ZR 32/05]; ZfBR 02, 678 [BGH 16.05.2002 - VII ZR 197/01]; WM 94, 1823, 1824 [BGH 27.04.1994 - XII ZR 16/93]). Danach ist zB ein Hinweis auf die Erforderlichkeit der Konkretisierung eines Antrags erforderlich, wenn das Berufungsgericht diesen anders als das Erstgericht für unzulässig hält (BGH MDR 16, 664; NJW-RR 10, 70 [BGH 23.04.2009 - IX ZR 95/06]). Ein Berufungsgericht muss indes grds keinen Hinweis darauf erteilen, dass es von der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts abweichen will, wenn die dem angefochtenen Urt zugrunde liegende Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts als zentraler Streitpunkt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt wird und die betroffene Partei deshalb von der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht überrascht wird (BGH NJW 10, 3089 [BGH 19.08.2010 - VII ZR 113/09]). Auch die Nachholung eines erstinstanzlicher erforderlichen, aber unterlassenen Hinweises ist nicht erforderlich, wenn die Partei durch die Gründe der angefochtenen Entscheidung auf den übersehenen rechtlichen Gesichtspunkt hinreichend aufmerksam gemacht wurde.
II. Entsprechende Anwendung aufgrund § 525 S 1.
Rn 5
Auf das Berufungsverfahren finden die im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung. Hierbei handelt es sich vornehmlich um die §§ 253–494a. Anwendbar sind danach zB die Vorschriften über die Rechtshängigkeit (§ 261; Frankf FamRZ 80, 710), die Klagerücknahme (§ 269), terminsvorbereitende Maßnahmen (§ 273), insb Fristsetzungen nach § 273 II Z 1, die Vergleichsfeststellung im Beschlussweg (§ 278 VI), den Schriftsatznachlass (§ 283; BGH NJW 86, 2257), den Rügeverlust (§ 295; BGH MDR 76, 379), Formen des Urteils (Zwischen-, Grund-, Teil-, Vorbehalts- oder Anerkenntnisurteil, §§ 300 ff), Ergänzung und Berichtigung eines Urteils (§§ 319, 321; Ddorf MDR 91, 789) sowie die Gehörsrüge (§ 321a; BGH FamRZ 04, 1278; Celle NJW 03, 906; Jena NJW 03, 3495). Anwendbar sind auch die allgemeinen gesetzlichen Vorgaben zur...