Rn 10
Wie das erstinstanzliche Gericht (§ 308 I) ist auch das Berufungsgericht an die Anträge der Parteien gebunden. Was mit den Berufungsanträgen nicht angegriffen ist, kann auch dann nicht abgeändert werden, wenn es offensichtlich falsch ist (B/L/H/A/G/Göertz Rz 11). Die Bindungswirkung tritt nicht unbedingt im Umfang des Antragswortlauts ein, wie jede Parteiprozesshandlung ist dieser – wenn auch nur im Rahmen des Bestimmtheitsgebots – auslegungs-, ggf sogar umdeutungsfähig (BGH NJW 01, 447 [BGH 04.10.2000 - VIII ZR 289/99]; NJW-RR 97, 1217 [BSG 28.08.1996 - 6 RKa 37/95]; GRUR 02, 88 [BGH 12.07.2001 - I ZR 40/99]; Ddorf MDR 15, 236 [OLG Koblenz 16.07.2014 - 14 W 400/14]).
I. Verbesserungsverbot.
Rn 11
Das Berufungsgericht darf das angefochtene Urt nicht über die vom Berufungskläger gestellten Anträge hinaus abändern, dem Berufungskläger kann nicht mehr zugesprochen werden, als er beantragt hat (Verbot der reformatio in melius). Der Berufungsbeklagte kann damit das Risiko des Berufungsverfahrens abschätzen und überlegen, ob und mit welchem Aufwand er sich gegen das Rechtsmittel verteidigen will.
II. Verschlechterungsverbot.
Rn 12
Das Berufungsgericht darf das angefochtene Urt nicht zum Nachteil des Berufungsklägers abändern, dem Berufungskläger kann nicht weniger zugesprochen werden, als ihm in 1. Instanz bereits zugesprochen wurde (Verbot der reformatio in peius). Der Berufungskläger ist damit davor geschützt, dass das Ergebnis des Rechtsstreits auf seine Berufung hin für ihn ungünstiger wird, er riskiert allein die Zurückweisung seiner Berufung. Der Berufung einlegende Beklagte muss nicht befürchten, über die bereits erfolgte Verurteilung hinaus zu unterliegen, der Kl muss nicht befürchten, weniger zu erhalten, als bereits zugesprochen. Vor einer Abänderung geschützt ist der Teil des Prozessgegenstands, über den das erstinstanzliche Gericht wirksam und mit materieller Rechtskraft zu Gunsten des Berufungsklägers entschieden hat (Musielak/Ball Rz 15). Umfasst werden Haupt- und Nebenforderungen (Zinsen), nicht aber Nebenentscheidungen (Rn 16). Bleibt der Umfang einer erstinstanzlichen Stattgabe oder Abweisung unklar, steht sie einer Abänderung nicht entgegen (BGH NJW-RR 96, 659 [BGH 19.01.1996 - V ZR 298/94]).
III. Einzelfälle.
Rn 13
Inhalt und Reichweite dieser Bindung an die Anträge in der Berufungsinstanz können in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft sein.
1. Nicht mögliche Abänderungen.
Rn 14
Ist der Klage unter Abweisung iÜ tw stattgegeben worden, darf auf die Berufung des Klägers keine weitergehende Abweisung, auf die Berufung des Beklagten keine weitergehende Klagestattgabe erfolgen (RGZ 161, 171). Bei einer Zug-um-Zug-Verurteilung kann auf eine Berufung des Beklagten hin nicht der Vorbehalt entfallen, auf Berufung des Klägers hin die Klage nicht völlig abgewiesen werden. Hat das LG auf Naturalrestitution erkannt, kann das Berufungsgericht ohne Antrag nicht auf Wertersatz umstellen. Werden mehrere Ansprüche geltend gemacht, gilt das Abänderungsverbot für jeden einzelnen Anspruch, selbst dann, wenn sie auf einem einheitlichen Klagegrund beruhen. Eine unzulässige Abänderung liegt nicht nur in quantitativen, sondern auch in qualitativen Abweichungen vom Antrag. Auf die Berufung gegen ein Grundurteil dürfen keine Ausführungen zur Höhe des Anspruchs gemacht werden, eventuelle Ausführungen des Erstgerichts hierzu indes können wegfallen. Wird ein Urt, das einer Zahlungsklage tw stattgibt und sie iÜ abweist, allein vom Beklagten mit der Berufung angegriffen, ist das Verschlechterungsverbot verletzt, wenn das Berufungsgericht eine vom Beklagten zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung, die das Gericht 1. Instanz als unbegründet angesehen hat, mit dem in 1. Instanz abgewiesenen Teil der Klageforderung verrechnet. (BGH MDR 10, 1402). Hat das vorinstanzliche Gericht eine Klage nur aufgrund der vom Beklagten erklärten Hilfsaufrechnung abgewiesen und legt nur der Kl ein Rechtsmittel ein, so ist dem Rechtsmittelgericht die erneute Überprüfung der Klageforderung verwehrt (Nürnbg MDR 11, 446). Wird ein das Gebot der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil verletzendes Teilurteil nur teilweise angefochten, steht einer auf diesen Verfahrensfehler gestützten Aufhebung des gesamten Teilurteils das Verbot der reformatio in peius entgegen (BGH NJW 13, 1009 [BGH 30.11.2012 - V ZR 245/11]).
2. Mögliche Abänderungen.
Rn 15
Nicht von der Rechtskraft und damit auch nicht vom Abänderungsverbot erfasst wird die Begründung der angefochtenen Entscheidung. Bleibt das Ergebnis gleich, können (Anspruchs- oder Gegenrechts-)Normen ausgewechselt, eine zugrunde gelegte Schuldform geändert (Vorsatz statt Fahrlässigkeit), Bemessungsfaktoren für Schmerzensgeld (Saarbr ZfSch 15, 686; Jena ZMGR 12, 38) oder Mitverschulden neu einbezogen, weggelassen oder umgewichtet werden. Bleibt der Saldo unverändert, können einzelne Rechnungsposten einer einheitlichen Abrechnung verändert werden (BGH NJW 04, 95, 96 [BFH 14.10.2003 - IX R 68/98]; Kobl RuS 20, 106 m Anm Rogler 107). Eine bloß vorübergehend wirkender Klageabweisungsgrund kann durch einen dauerhaften ausgetauscht werden u...