Rn 4

Die Verweisung des § 530 auf § 296 I, IV erfolgt nicht bloß auf die dort genannte Rechtsfolge, sondern auch auf die Voraussetzungen. Erforderlich für eine Präklusion ist damit nicht nur, dass Angriffs- und Verteidigungsmittel nach Ablauf der in § 530 genannten Frist vorgebracht wurden, sondern auch, dass dies nicht genügend entschuldigt wurde und dass die Zulassung des Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

I. Angriffs- und Verteidigungsmittel.

 

Rn 5

Angriffs- und Verteidigungsmittel umfassen das tatsächliche Vorbringen der Parteien zur Begründung des Sachantrags oder zur Verteidigung gegen ihn. Hierunter fallen insb das Behaupten, Bestreiten oder Beweisen von Tatsachen und der Vortrag von materiellen oder prozessualen Einwendungen und Einreden (BGH NJW 04, 2828 [BGH 08.06.2004 - VI ZR 230/03]). Hierher gehören Beweisantritte stets, Beweiseinreden dann, wenn sie über die bloße Würdigung hinausgehen und auf besondere Tatsachen gestützt werden.

 

Rn 6

Keine Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die mit der Stellung eines neuen oder der Änderung des bisherigen Antrags verbundenen selbstständigen Angriffe und Verteidigungen (Klageerweiterung, Klageänderung, Widerklage; BGH NJW 17, 491 [BGH 20.09.2016 - VIII ZR 247/15]; NJW 01, 1210 [BGH 15.01.2001 - II ZR 48/99]; § 282 Rn 5, § 296 Rn 6). Keine Angriffs- und Verteidigungsmittel sind auch bloße Rechtsausführungen, die in der Berufungsinstanz ohne zeitliche Beschränkung möglich sind (Zö/Gummer/Heßler Rz 8).

 

Rn 7

Angriffs- und Verteidigungsmittel, die bereits erstinstanzlich vorgebracht wurden, unterlagen bereits dort den Voraussetzungen § 296. Wurden sie zu Recht zurückgewiesen, bleiben sie auch für die Berufung ausgeschlossen (§ 531 I), wurden sie zu Unrecht oder nicht zurückgewiesen, werden sie auch ohne besondere Wiederholung zum Prozessstoff 2. Instanz. Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erstmals in der Berufung vorgebracht werden, können nur berücksichtigt werden, wenn sie sowohl die Voraussetzungen des § 530 als auch die des § 531 II erfüllen. Die Aufrechnung ist Angriffs- und Verteidigungsmittel (BGHZ 91, 293, 303), unterfällt zweitinstanzlich damit sowohl § 530 als auch § 533. Die Anschlussberufung ist selbstständiger Angriff, nicht bloßes Angriffs- und Verteidigungsmittel. Werden zur Begründung der Anschlussberufung Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist vorgetragen, sind diese nach §§ 524 II 2, 521 II, 530 präkludiert (Eichele/Hirtz/Oberheim/Ahrens Kap 13 Rz 103; aA HK-ZPO/Wöstmann Rz 3). Zu den Angriffs- und Verteidigungsmitteln gehört auch das Vorbringen zu den Nebenforderungen (Zinsen; BGH WM 77, 173).

II. Verspätung.

 

Rn 8

Verspätet ist das Vorbringen, wenn der Berufungskläger entweder die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 II; dort Rn 4) oder eine evtl gesetzte Frist zur schriftlichen Stellungnahme auf die Berufungserwiderung (§ 521 II; dort Rn 9) versäumt. Auch wenn eine Frist zur Replik gesetzt wird, müssen die nach § 520 III Nr 2–4 erforderlichen Angriffs- und Verteidigungsmittel bereits in der Begründungsfrist vorgetragen sein. Der Berufungsbeklagte muss die gerichtlich bestimmte Berufungserwiderungsfrist einhalten (§ 521 II). Rechtzeitiger Vortrag auf einen Hinweis des Berufungsgerichts, ist nicht verspätet (BGH MDR 16, 664; MDR 09, 998; MDR 07, 1365), auch ein als Reaktion hierauf erfolgender Vortrag kann allein an §§ 525, 282, 296 II gemessen werden. Vortrag zu einer vAw zu berücksichtigenden Prozessvoraussetzung unterfällt nicht § 530 (BGH NJW 04, 2533).

III. Verzögerung.

 

Rn 9

Eine Verzögerung des Verfahrens liegt vor, wenn die Zulassung des verspäteten Vortrags die Erledigung des Rechtsstreits in 2. Instanz zeitlich hinausschieben würde (BGH NJW-RR 05, 669, 671 [BGH 16.12.2004 - VII ZR 16/03]; NJW-RR 04, 126 [OLG Schleswig 20.02.2003 - 5 U 160/01]). Zum Begriff der Verzögerung und dem bei der Beurteilung anzulegenden Maßstab § 296 Rn 14 ff.

 

Rn 10

Keine Verzögerung tritt ein, wenn verspätete Angriffs- und Verteidigungsmittel eine Beweisaufnahme nicht erforderlich machen, sei es weil sie unstr sind (BGH NJW 05, 291 [BGH 18.11.2004 - IX ZR 229/03]), sei es weil Beweis hierfür nicht angeboten ist. Deswegen ist vor einer Zurückweisung der Gegner zu hören, ggf im Wege des Schriftsatznachlasses (§ 283). Eine Verzögerung kann auch darin begründet sein, dass durch den verspäteten Vortrag eine Beweisaufnahme über andere Tatsachen erforderlich wird (BGH NJW 86, 2257). Nicht auf der Verspätung beruht eine Verzögerung, die das Berufungsgericht durch zumutbare Maßnahmen hätte abwenden können (BGH NJW 01, 151 [BGH 26.10.2000 - VII ZR 239/98]). Dabei kommen insb Belehrungen (§§ 521 II, 277 II; BGH NJW 83, 2507 [BGH 14.07.1983 - VII ZR 328/82]), Hinweise iRd materiellen Prozessleitungspflicht (§§ 525, 139; BVerfG 92, 678, 679) oder terminsvorbereitende Maßnahmen (§§ 525, 273; BVerfG NJW 90, 2373 [BVerfG 21.02.1990 - 1 BvR 1117/89]) in Betracht. Die Zumutbarkeit ist dabei unter Berücksichtigung des Umfangs der Sache und der erforderlichen Maßnahmen, der Geschäftslage d...

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