Rn 5
§ 531 I 1 erlaubt es nach seinem klaren Wortlaut dem Berufungsgericht lediglich zu überprüfen, ob eine Zurückweisung von Vorbringen in erster Instanz zu Recht vorgenommen worden ist. Das im Rechtsmittelzug übergeordnete Gericht darf eine fehlerhafte Begründung des erstinstanzlichen Gerichts für eine Zurückweisung von Angriffsmitteln nicht durch eine andere Begründung ersetzen und insbesondere nicht eine dem erstinstanzlichen Gericht vorbehaltene Ermessensentscheidung als Begründung für die Zurückweisung nachschieben (BGH IBR 13, 719 [BGH 02.09.2013 - VII ZR 242/12] m Anm Schwenker).
Rn 6
Zum Begriff der Angriffs- und Verteidigungsmittel Rn 3. Im ersten Rechtszug zurückgewiesen worden sein können diese nach § 296 I wegen Nichteinhaltung einer Frist (auch der Einspruchsfrist nach § 340 III 3) oder nach § 296 II wegen Verletzung der allgemeinen Prozessförderungspflicht. Die bloße Nichterhebung eines Beweises wegen Nichteinhaltung einer Beibringungsfrist nach § 356 genügt nicht, die Beseitigung des Hindernisses in 2. Instanz unterfällt § 531 II (Bremen ZEV 10, 480 [OLG Bremen 10.12.2009 - 5 U 31/09]). Die Zurückweisungsentscheidung muss sich aus dem erstinstanzlichen Urt ergeben und dort begründet sein (BGH NJW 99, 585; BVerfG MDR 87, 904; Nasall NJW 20, 1939), eine Zurückweisung durch separaten Beschl ist wirkungslos (BGH NJW 02, 290). Zu Recht erfolgt ist die Zurückweisung, wenn nach Überzeugung des Berufungsgerichts zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung 1. Instanz die Voraussetzungen der Präklusionsnorm vorlagen. Neue Tatsachen (insb zum Verschulden) hat das Berufungsgericht nur unter den Voraussetzungen des § 531 II zu berücksichtigen (Musielak/Ball Rz 7; aA MüKoZPO/Rimmelspacher Rz 12: unbeschränkte Zulassung neuer Tatsachen). Das Berufungsgericht darf eine von der Vorinstanz unterlassene Zurückweisung wegen Verspätung weder nachholen (BGH GesR 14, 658) noch eine unzutreffende Begründung des Erstgerichts durch eine andere (zutreffende) ersetzen (BGH NJW 18, 1686 [BGH 27.02.2018 - VIII ZR 90/17]; GesR 14, 658 [BGH 15.07.2014 - VI ZR 176/13]; NJW-RR 13, 655 [BGH 21.03.2013 - VII ZR 58/12]; NJW 06, 1741 [BGH 22.02.2006 - IV ZR 56/05]; NJW-RR 05, 1007 [BGH 04.05.2005 - XII ZR 23/03]; Potsdam Urt v 30.4.09 – 12 U 196/08). Zu Recht zurückgewiesen sein worden können nur Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erstinstanzlich streitig waren (§ 296 Rn 20), ausgeschlossen bleiben können sie nur, wenn sie auch in 2. Instanz streitig bleiben (BGH NJW 80, 945 [BGH 31.01.1980 - VII ZR 96/79]). Unstreitige Tatsachen bedürfen der Präklusion weder im Interesse des Gegners noch der Allgemeinheit (MüKoZPO/Rimmelspacher Rz 14; Schultzky MDR 16, 968).
Rn 7
Nicht anwendbar ist § 531 I auf Vorbringen, das schlicht unberücksichtigt geblieben ist, ohne förmlich zurückgewiesen worden zu sein. Dabei ist unerheblich, ob der Vortrag übersehen oder für unerheblich gehalten wurde (BGH NJW 85, 1539 [BGH 24.04.1985 - VIII ZR 95/84]). Nicht anwendbar ist § 531 I auch auf Vortrag, der erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 296a; BGH NJW 18, 1686 [BGH 27.02.2018 - VIII ZR 90/17]) bzw nach Ablauf einer Schriftsatznachlassfrist (§ 283 S 2) erfolgt sowie auf das Unterbleiben der Ladung eines Zeugen mangels Zahlung des Auslagenvorschusses (§ 379; BGH NJW 80, 343). Solche Angriffs- und Verteidigungsmittel gelten als erstinstanzlich gar nicht vorgetragen und unterfallen nicht § 531 I, sondern allein § 531 II (Rn 1).
Rn 7a
Erstinstanzlich nicht oder nicht zu Recht zurückgewiesenes Vorbringen wird ohne Weiteres Prozessstoff der zweiten Instanz, eines erneuten Vorbringens bedarf es insoweit grds nicht (BGH MDR 20, 1009; VersR 20, 379).