Rn 1
Soll die Berufung auf die Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung und die Beseitigung festgestellter Fehler beschränkt und einer Prozessverschleppung vorgebeugt werden (ThoPu/Reichold Rz 2), so ist grds jede Änderung der Entscheidungsgrundlage zu vermeiden. Die Präklusion neuen Vortrags darf sich deswegen nicht auf Angriffs- und Verteidigungsmittel (§§ 530, 531) beschränken, sondern muss auch neue Angriffe oder Verteidigungen selbst (Klage, Widerklage) erfassen. Andererseits dient es der Prozessökonomie, zusätzliche Streitpunkte zwischen den Parteien im Prozess auch dann mit zu erledigen, wenn sie erst zweitinstanzlich eingeführt werden. § 533 lässt solche Erweiterungen deswegen zu, soweit sie einerseits sachdienlich sind und andererseits die Beschränkungen zum Vortrag neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel damit nicht umgangen werden. Die Aufrechnung ist an sich zwar Verteidigungs- (oder, wenn vom Kl bei der negativen Feststellungs- oder der Vollstreckungsabwehrklage vorgebracht, Angriffs-)mittel, den selbstständigen Angriffen bzw Verteidigungen in § 533 aber gleichgestellt, weil sie wie diese zu einer Erweiterung des Streitstoffs führt und alle zweitinstanzlichen Ausweitungen des Streitstoffs im Interesse der Waffengleichheit der Parteien gleich behandelt werden müssen (BGH NJW 00, 145 [OLG Düsseldorf 13.04.1999 - Verg 1/99]).
Rn 2
§ 533 findet auf Klageänderungen, Aufrechnungserklärungen und Widerklagen nicht nur dann Anwendung, wenn diese mit der Berufung vom Berufungskläger geltend gemacht werden, sondern auch, wenn sie (im Wege einer Anschlussberufung, § 524) vom Berufungsbeklagten ausgehen. In allen Fällen ist eine Entscheidung über den neuen Prozessstoff nur iRd (Anschluss-)Rechtsmittels möglich. Nur wenn es zu einer Sachentscheidung darüber kommt, kann sich diese auf die geänderte Klage-, die Aufrechnungs- oder die Widerklageforderung erstrecken. Wird die (Anschluss-)Berufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen, ergeht eine Sachentscheidung über den neuen Prozessstoff nicht. Dies gilt auch für die Anschlussberufung, die nach § 524 IV durch Rücknahme, Verwerfung oder Zurückweisung der Berufung ihre Wirkung verliert (BGH NJW-RR 17, 56; Köln FamRZ 10, 224).
Rn 3
Auch wenn die Voraussetzungen des § 533 erfüllt sind, darf die Erweiterung des Streitstoffs nicht das einzige Ziel der Berufung sein. Sie ist erst in der Berufungsinstanz möglich, der Zugang zu dieser muss zunächst zulässig eröffnet sein. Erforderlich ist deswegen, dass zumindest auch (hilfsweise) eine Beseitigung der in der erstinstanzlichen Entscheidung liegenden Beschwer erstrebt wird (BGH NJW-RR 12, 662; NJW 11, 3653; Kobl BauR 09, 1622; Köln MDR 05, 160; Kretschmer jM 16, 90; § 511 Rn 37). Eine solche Beseitigung der erstinstanzlichen Beschwer kann auch dann gegeben sein, wenn statt des erstinstanzlichen Feststellungsantrags ein Leistungsantrag aus demselben Lebenssachverhalt gestellt wird und das Feststellungsbegehr als Inzidentfeststellungsklage (§ 256 II) weiterverfolgt werden könnte (BGH NJW 17, 1823 [BGH 21.02.2017 - XI ZR 467/15]; NJW-RR 96, 1020 [BGH 03.05.1996 - LwZR 9/95]; Karlsr VersR 19, 865). Für die Anschlussberufung gilt die Notwendigkeit einer Beseitigung der Beschwer nicht, da es hier einer Beschwer nicht bedarf (München MDR 04, 781; § 524 Rn 13).
Rn 4
Die Vorschrift gilt in allen Berufungsverfahren, auch im WEG-Verfahren. Zumindest nach dem Maßstab des § 533 ist über die Zulässigkeit einer Klageänderung auch im Revisionsverfahren zu entscheiden (BAG Urt v 14.6.17 – 10 AZR 308/15). Auf das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahrens findet sie gem § 64 VI ArbGG entsprechende Anwendung.