Rn 21
Nach § 540 I 2 können die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Begründung des Stuhlurteils (auch ohne Antrag oder Einwilligung, BGH NJW 07, 1314) ins Protokoll aufgenommen werden (sog ›Protokollurteil‹). Erforderlich ist, dass die Verkündung des Urteils in das Protokoll über die Verhandlung aufgenommen wird (§§ 159 I 1, 160 III Nr 7). Die Verkündung muss die Urteilsformel (§ 160 III Nr 6 iVm § 311 II 1 und 2) und die Urteilsgründe (§ 540 I 1 Nr 1 und 2) umfassen (BGH NJW 04, 1666). Insoweit besteht ein Unterschied zu den allgemeinen Stuhlurteilen nach § 310 I 1 Alt 1, bei denen lediglich der schriftlich vorliegende Tenor verkündet werden muss (§§ 310 II, 311 II 1) und es ausreicht, wenn die Gründe vor Ablauf von drei Wochen nach der Verkündung in dem vollständig abgefassten Urt enthalten sind (§ 315 II 1). Die Urteilsformel kann nicht bloß ins Protokoll diktiert werden, sie muss wie bei allen Urteilen bei der Verkündung schriftlich fixiert vorliegen (§ 311 II 1). Dann genügt es, wenn im Protokoll auf diese Urkunde Bezug genommen und sie als Anlage zum Protokoll genommen wird (§ 160 V). Auch die Gründe müssen entweder ins Protokoll aufgenommen oder – wenn sie anderweitig schriftlich fixiert sind – als Anlage zum Protokoll genommen werden. Das Protokoll ist – neben dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle – nur vom Vorsitzenden zu unterschreiben (§ 163 I 1; BGH NJW-RR 07, 141 [BGH 16.10.2006 - II ZR 101/05]). An die ins Protokoll oder in die Anlage aufzunehmende Begründung sind uneingeschränkt die gleichen Anforderungen zu stellen, wie an die Begründung eines Berufungsurteils im Allgemeinen (BGH NJW 19, 1885 [BGH 26.03.2019 - VI ZR 171/18]). Da der Protokollinhalt die Funktion der Urteilsgründe übernimmt, muss er die für die Revisionsüberprüfung taugliche Grundlage abgeben (BGH MDR 17, 1116 [BGH 19.07.2017 - VIII ZR 3/17]; BGH NJW 04, 1666, 1390). Bei Spruchkörperentscheidungen ist stets erforderlich, dass nicht bloß der Vorsitzende, sondern das Kollegium von dieser Urteilsform Gebrauch machen will und die ins Protokoll aufzunehmenden Sätze formuliert oder zumindest gebilligt hat. Die ins Protokoll aufzunehmenden Gründe können deswegen nicht (nur) in einem vor Schluss der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis nach § 139 bestehen. Soll das Urt auf die im Hinweis zum Ausdruck gebrachten Überlegungen gestützt werden, so muss erkennbar werden, dass dies auf einer (erneuten) Beratung des kompletten Spruchkörpers nach Schluss der mündlichen Verhandlung beruht (BGH NJW 04, 1666, 1667 [BGH 06.02.2004 - V ZR 249/03]).
Rn 22
Nach der mündlichen Verhandlung ist zusätzlich zu dem Protokoll eine Urteilsurkunde herzustellen, die alle Bestandteile eines normalen Berufungsurteils aufzuweisen hat (§§ 525, 313 I, 315 I), insb also eine Bezeichnung der Parteien (mit gesetzlichen Vertretern und Prozessbevollmächtigten), des Gerichts (mit den Namen der Richter), des Tags, an dem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde, die vollständige Urteilsformel und die Unterschriften aller Richter (BGH NJW 19, 1885 [BGH 26.03.2019 - VI ZR 171/18]; MDR 11, 709; MDR 07, 351). Dabei muss das Urt bereits im Zeitpunkt seiner Unterzeichnung durch die mitwirkenden Richter in vollständiger Form abgefasst sein, so dass es nicht ausreicht, wenn die nach § 311 II für die Verkündung regelmäßig erforderliche schriftlich abgefasste Urteilsformel bereits von den mitwirkenden Richtern unterschrieben wurde und dieses Schriftstück sodann mit dem zunächst vorläufig aufgezeichneten Sitzungsprotokoll nach dessen Herstellung verbunden wird (BGH WuM 10, 97 [BGH 09.12.2009 - VIII ZR 177/07]). Allerdings genügt es, dass alle mitwirkenden Richter nur das Protokoll unterschreiben, wenn dieses neben den Angaben gem § 540 I 1 auch alle Urteilsbestandteile des § 313 I Nr 1 bis 4 enthält (BGH MDR 11, 709; NJW-RR 10, 911 [BGH 01.03.2010 - II ZR 213/08]). Wegbleiben können lediglich die Gründe nach § 540 I. Diese werden zum Bestandteil des Urteils, indem Urt und Protokoll (ggf einschließlich Anlage gem § 160 V) miteinander verbunden werden (BGH NJW-RR 08, 1521 [BGH 08.04.2008 - XI ZR 377/06]). Das Urt muss weder eine besondere Überschrift (›Protokollurteil‹, ›Urteil nach § 540 I 2‹) noch einen ausdrücklichen Hinweis auf das Protokoll, in dem die Gründe festgehalten sind, enthalten. Beides ist unschädlich, ersetzt aber die notwendige Verbindung von Protokoll und Urt nicht (Naumbg FamRZ 03, 148). Wird die nach der mündlichen Verhandlung abgefasste Urteilsurkunde mit Gründen versehen, so handelt es sich um ein (auch im Berufungsverfahren mögliches, § 525) ›normales‹ Stuhlurteil nach § 310 I 1 Alt 1 (BGH NJW 04, 1666, 1667 [BGH 06.02.2004 - V ZR 249/03]). Unzureichende Gründe im Protokoll können so nachträglich noch geheilt werden. Solange gegen vermögensrechtliche Urteile bis zu einem Wert der Beschwer von 20.000 EUR die Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig ist (§ 26 Nr 8 EGZPO), kann die bisherige Praxis vieler Berufungsgerichte, eine abgekürzte Begründun...