Rn 20

Außerhalb der Verletzung der Verfahrensgrundrechte ist der Zugang zur Revisionsinstanz bei Verfahrensmängeln iÜ nur dann eröffnet, wenn die Zulassungsvoraussetzungen nach Abs 1 oder 2 erfüllt sind. Der Gesetzgeber hat eine Zulassung der Revision wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels nicht ausdrücklich vorgesehen. Ein Verstoß gegen das einfache Verfahrensrecht soll daher die Zulassung der Revision nur dann rechtfertigen, wenn zugleich dargelegt wird, dass die Voraussetzungen einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung eines Verfahrensgrundrechts erfüllt sind oder Wiederholungsgefahr droht (BGH NJW 02, 3180, 3181 [BGH 25.07.2002 - V ZR 118/02]; Musielak/Voit/Ball, § 543 Rz 9). Demgegenüber ist die Revision ohne weiteres zuzulassen, wenn ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr 1–4 geltend gemacht wird und vorliegt (BGH NJW 07, 2702f [BGH 15.05.2007 - X ZR 20/05]). Soweit ein Verstoß gegen die absoluten Revisionsgründe des § 547 Nr 5 und 6 in Rede steht, liegt eine höchstrichterliche Entscheidung zwischenzeitlich zu § 547 Nr 6 und zu § 547 Nr 5 vor. Zu § 547 Nr 6 ist inzwischen entschieden, dass darauf abzustellen ist, mit welcher Intensität sich die fehlende Begründung auf die Enscheidung auswirkt. Das hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, mit der Konsequenz, dass eine fehlende Begründung nicht in jedem Fall zur Zulassung der Revision führt (BGH NJW-RR 12, 760 [BGH 30.11.2011 - I ZR 26/11] Tz 6). Zu § 547 Nr 5 hat der BGH jüngst entschieden, dass die Nichtbeachtung von § 169 Abs 1 S 1 GVG nicht in jedem Fall die Zulassung der Revision begründe. Zu berücksichtigen seien vielmehr der Umfang des Verstoßes und die Reaktion der Parteien (BGH 24.11.20 – XI ZR 355/19 juris Tz 17f). Offen ist auch noch, was zulassungsrechtlich zu gelten hat, wenn tatbestandliche Darstellungen in einem Berufungsurteil fehlen oder derart widersprüchlich, unklar und lückenhaft sind, dass sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht mehr zweifelsfrei erkennen lassen. Fehlt es an den Mindestvoraussetzungen tatbestandlicher Darlegungen in einem Berufungsurteil, zu denen auch und insbesondere die Erkennbarkeit des mit dem Rechtsmittel verfolgen Rechtsschutzziels gehört, ist das Urt im Revisionsverfahren vAw aufzuheben (BGH NJW 16, 3787; NJW-RR 12, 141 Tz 2; BGH 4.5.11 – XII ZR 142/08 – juris Tz 6; BGHZ 156, 97, 99; § 540 Rn 15; Musielak/Voit/Ball, § 540 Rz 6a). Besondere Bedeutung kommt dabei der Wiedergabe der im Berufungsverfahren gestellten Anträge zu (auch der Hilfsanträge; BGH 6.2.13 – I ZR 13/12 – juris Tz 15 ›Basis 3‹). Diese müssen im Berufungsurteil zumindest sinngemäß wiedergegeben werden. Die bloße Bezugnahme auf das Sitzungsprotokoll genügt nicht (BGH 17.12.13 – II ZR 21/12 – juris Tz 18 ff mwN; Ausnahme: BGH v 1.7.15 – VIII ZR 278/13 – juris Tz 13). Es erscheint schwerlich hinnehmbar, dass ein Berufungsurteil Bestand hat, weil es zum einen die Revision nicht zulässt und zum anderen mangels Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen die Prüfung der Voraussetzungen einer erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde erschwert oder gar vereitelt (BGHZ 156, 97, 104f). In solchen Fällen sollte die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr zugelassen werden. Für die Rechtsbeschwerde ist anerkannt, dass die mangelnde Wiedergabe des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts einen Verfahrensmangel begründet, den das Rechtsbeschwerdegericht auf die Rechtsbeschwerde hin vAw zu berücksichtigen hat und der ohne weiteres die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach sich zieht. Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grds von dem Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat. Fehlen tatsächliche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage (vgl nur BGH 30.4.19 – VI ZB 48/18 juris Tz 4; BGH v 16.9.14 – XI ZB 5/13 – juris Tz 5 jmwN). Dasselbe gilt, wenn das Berufungsgericht die Berufung nicht durch Beschluss (Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, § 522 I 4) sondern durch Urteil als unzulässig verwirft (BGH NJW 14, 3583 Tz 7–9). Diese Überlegungen sollten auch Geltung beanspruchen, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil oder einen Beschluss nach § 522 II gerichtet ist, mit dem die Berufung als unbegründet zurückgewiesen wird. Zwar muss der Beschwerdeführer in diesen Fällen den maßgeblichen Sachverhalt darlegen (BGH NJW 14, 3583 [BGH 18.09.2014 - V ZR 290/13] Tz 8). Dies ändert allerdings nichts daran, dass eine Entscheidung, die nicht erkennen lässt, welche Feststellungen für das Berufungsgericht maßgeblich waren, schwerlich hinnehmbar ist. In einem derartigen Fall hat der BGH (NJW 16, 3787) die Revision zugelassen. Im Lichte der Art 6 Abs 1 und 13 EMRK sowie eines verfassungsrechtlich aus Art 2 Abs 1 und Art 20 Abs 3 GG herzuleitenden ›allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs‹ sollte eine Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rspr auch erfolgen, wenn mit der Verfahrensrüge eine überlange Verfahrens...

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