Rn 8

Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vorliegens der Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes gilt: Wird eine klärungsbedürftige Frage nach der Entscheidung des Berufungsgerichts sozusagen ›überholt‹ und durch ein Urt des BGH oder des EuGH iSd Rechtsmittelführers geklärt, verliert die Zulassungsfrage ihre Entscheidungserheblichkeit nicht, da in diesem Falle der Rechtsstreit unrichtig entschieden ist. Lässt das Berufungsgericht die Revision nicht zu, obwohl der Rechtsstreit zum damaligen Zeitpunkt eine Fragestellung von grundsätzlicher Bedeutung beinhaltete und erfolgt die Klärung der Frage nach dem Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde, ist die Revision dennoch vom BGH zuzulassen, wenn sie Aussicht auf Erfolg hätte. Um Ungleichheit bei der Rechtsanwendung zu vermeiden, die in der Versagung oder Zulassung durch das Berufungsgericht und im mehr oder weniger zufälligen Zeitpunkt der Zulassungsfrage liegt, ist das Revisionsgericht bei einer solchen Fallgestaltung gehalten, die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angestrebte Revision zuzulassen, wenn sie Aussicht auf Erfolg bietet. In diesem Falle sind bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht vom Revisionsgericht sogar eigenständig Revisionsrügen und deren Erfolgsaussichten zu erwägen, wobei hierbei die Maßstäbe gelten, wie sie beim Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe anzulegen sind (BGH WRP 04, 1051, 1052 [BGH 06.05.2004 - I ZR 197/03] – PEE-WEE; vgl auch BGH NJW 10, 2812 [BGH 29.06.2010 - X ZR 51/09]).

 

Rn 9

Die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen müssen, stellt sich auch beim Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rspr (§ 543 II Ziff 2 2. Alt) und muss entsprechend auch beim Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 543 II Ziff 2 1. Alt) beantwortet werden. Zwar ist auch bei diesen Zulassungsgründen grds für das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen der Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts maßgeblich. Eine Abweichung von diesem Grundsatz ist jedoch erforderlich, wenn durch ein höchstrichterliches Urt eine ständige Fehlerpraxis unterer Gerichte korrigiert wird und anschließend über eine Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden ist, die zum Zeitpunkt der korrigierenden Entscheidung bereits eingelegt war und die gleiche Fehlerpraxis rügt. Beruht die angefochtene Entscheidung auf dieser Fehlerpraxis, so liefe die Zurückweisung der Beschwerde im Hinblick auf die künftig gesicherte Einheitlichkeit der Rspr dem verfassungsrechtlich verankerten Gebot der Rechtsmittelklarheit zuwider. Bei dem Zulassungsgrund des § 543 II 1 Nr 2 wird die Erfolgsaussicht der Revision in aller Regel nicht zweifelhaft sein, da dieser Zulassungsgrund eine rechtsfehlerhafte Entscheidung voraussetzt. Die Korrektur einer berufungsgerichtlichen Fehlerpraxis durch das Revisionsgericht verändert nicht die Erfolgsaussichten einer Revision gegen ein weiteres, auf derselben Fehlerpraxis beruhendes Urt (BGH NJW 05, 154, 155f [BGH 08.09.2004 - V ZR 260/03]).

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