Rn 14

Bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs auf den konkreten Sachverhalt ist dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum vorbehalten (BGH NJW 07, 2177 [BGH 18.04.2007 - VIII ZR 182/06] Tz 32). Das Revisionsgericht kann die Feststellung der Voraussetzungen eines unbestimmten Rechtsbegriffs nur beschränkt darauf überprüfen, ob der Tatrichter wesentliche Umstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt hat, Erfahrungssätze verletzt oder Verfahrensfehler begangen hat (BGH NJW 07, 211 [BGH 25.10.2006 - VIII ZR 251/05] Tz 13).

 

Rn 15

Inwieweit die Frage, ob ein festgestellter Sachverhalt gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben verstößt, unbeschränkt nachprüfbar ist, wird demgegenüber in der höchstrichterlichen Rspr nicht immer zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht. Einerseits wird ausgeführt, dass es der abschließenden, revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilung des Tatrichters obliegt, ob er auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen ein sittenwidriges Verhalten einer Partei annimmt (BGH NJW-RR 07, 1676 [BGH 09.07.2007 - II ZR 95/06]), andererseits, dass es der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt, ob ein Verhalten als sittenwidrig [iS der entsprechenden Maßstäbe der höchstrichterlichen Rspr] anzusehen ist (BGH 20.4.04 – X ZR 257/02 Tz 30 – juris), desgleichen, dass die Frage, ob ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegt, keine reine Tatfrage ist, sondern zugleich eine der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegende Rechtsfrage (BGHZ 45, 258, 266). Richtigerweise ist die Frage, ob ein festgestellter Sachverhalt die Voraussetzungen eines unbestimmten Rechtsbegriffs in seiner Ausprägung durch die höchstrichterliche Rspr erfüllt, mithin den rechtlichen Maßstäben genügt, eine Rechtsfrage, die uneingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung unterliegt. Werden die Maßstäbe, die an einen unbestimmten Rechtsbegriff gestellt werden, verkannt, wird gleichzeitig der Rechtsbegriff verkannt, und damit die unbeschränkte revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit eröffnet (vgl zB zum Begriff der Billigkeit iSv § 315 BGB und dessen revisionsrechtlicher Nachprüfbarkeit BGH NJW 09, 504 [BGH 19.11.2008 - VIII ZR 138/07] Tz 28). Die Qualifizierung eines Verhaltens, das als solches rechtsfehlerfrei (tatrichterlich) festgestellt wurde, als sittenwidrig ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt (BGH 25.5.20 – VI ZR 252/19 Tz 14 mzwN).

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