Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
(1) Soll ein Recht an einem Grundstück, das von dem bisherigen Eigentümer nach § 928 des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufgegeben und von dem Aneignungsberechtigten noch nicht erworben worden ist, im Wege der Klage geltend gemacht werden, so hat der Vorsitzende des Prozessgerichts auf Antrag einen Vertreter zu bestellen, dem bis zur Eintragung eines neuen Eigentümers die Wahrnehmung der sich aus dem Eigentum ergebenden Rechte und Verpflichtungen im Rechtsstreit obliegt.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn im Wege der Klage ein Recht an einem eingetragenen Schiff oder Schiffsbauwerk geltend gemacht werden soll, das von dem bisherigen Eigentümer nach § 7 des Gesetzes über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken vom 15. November 1940 (RGBl. I S. 1499) aufgegeben und von dem Aneignungsberechtigten noch nicht erworben worden ist.
A. Normgegenstand.
Rn 1
Wird das Eigentum an einem Grundstück durch Verzicht ggü dem Grundbuchamt und Eintragung in das Grundbuch aufgegeben (§ 928 I BGB), so kommt das Recht der Aneignung dem Fiskus (§ 928 II BGB) oder einem nach Art 129 EGBGB Berechtigten zu. Rechte an dem Grundstück – etwa aus einer Hypothek, Grundschuld oder Reallast – werden durch die Eigentumsaufgabe nicht berührt. Der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes gebietet, Inhabern von dinglichen Rechten an dem Grundstück während des zeitlich unabsehbaren Zeitraums der Herrenlosigkeit zur klageweisen Durchsetzung ihrer Ansprüche zu verhelfen. Diesem Personenkreis eröffnet die Bestimmung unabhängig von der Möglichkeit, eine Aneignung durch die zuständige Stelle oder eine Pflegerbestellung nach § 1913 BGB zu betreiben, das Recht auf Bestellung eines besonderen Vertreters (Prozesspfleger). Die Regelung ist auch bei der Aufgabe des Eigentums an Schiffen oder Schiffsbauwerken anwendbar (Abs 2). Die bei Ausschließung eines Eigentümers im Aufgebotsverfahren (§ 927 BGB) entsprechend anwendbare Bestimmung gilt nur in Klage-, wegen der Streichung des § 688 I 2 aF nicht in Mahnverfahren.
B. Voraussetzungen der Bestellung eines Prozesspflegers.
Rn 2
Erforderlich ist einmal der Eintritt der Herrenlosigkeit vor Rechtshängigkeit, weil die Eigentumsaufgabe nach Rechtshängigkeit zur Anwendung des § 265 führt (St/J/Bork Rz 4). Gegenstand der beabsichtigten Klage muss ein dingliches Recht – auch aus Vormerkung oder Nachbarrecht – bilden (MüKoZPO/Lindacher Rz 4). Beantragt der Gläubiger die Löschung einer zu seinen Gunsten im Grundbuch eingetragenen Grundschuld an einem Grundstück, nachdem der bisherige Eigentümer das Eigentum durch Dereliktion aufgegeben, eine Aneignung durch den Fiskus oder einen Dritten aber noch nicht erfolgt ist, so ist die Eigentümerzustimmung im Klageweg nach Pflegerbestellung gemäß § 58 ZPO beizubringen (Frankf. FGPrax 2012, 147f). Der Antrag ist bei dem Vorsitzenden des nach § 24 ausschließlich zuständigen Prozessgerichts zu stellen, der abw von § 57 das Gesuch bei fehlender örtlicher Zuständigkeit abzulehnen hat (Musielak/Weth Rz 3). In dem Antrag, der keinem Anwaltszwang unterliegt, ist das verfolgte Recht zu bezeichnen und mittels eines Grundbuchauszugs der Nachweis der Herrenlosigkeit zu führen. Gefahr im Verzuge braucht nicht dargelegt zu werden. Gegen die Zurückweisung des Antrags steht die sofortige Beschwerde (§ 567) offen.
C. Prozessuale Stellung des Prozesspflegers.
Rn 3
Er ist als Interessenwahrer des künftigen Eigentümers zur Geltendmachung aller Verteidigungsmittel berechtigt, um eine unzulässige oder unbegründete Klage abzuwehren. Der nicht zur Übernahme des Amtes verpflichtete Prozesspfleger ist damit gesetzlicher Vertreter des künftigen Eigentümers. Für seine Kosten haftet der auf Verlangen zu einem Kostenvorschuss verpflichtete ASt; dieser kann mit seiner Klage, falls sich die dingliche Haftung auf solche Kosten erstreckt (§ 118 BGB), den erforderlichen Betrag als Nebenforderung geltend machen. Das Amt endet mit der Eintragung eines neuen Eigentümers (nicht erst seinem Eintritt in den Prozess), mit dem Ende der Herrenlosigkeit auf andere Weise als nach § 928 II BGB und mit dem Widerruf der Bestellung. In den beiden erstgenannten Fällen wird der Prozess von dem neuen Eigentümer ohne Verfahrensunterbrechung übernommen.