Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich
Gesetzestext
(1) Die Hauptsache wird, insoweit sie von dem Anfechtungsgrunde betroffen ist, von neuem verhandelt.
(2) 1Das Gericht kann anordnen, dass die Verhandlung und Entscheidung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Verhandlung über die Hauptsache erfolge. 2In diesem Fall ist die Verhandlung über die Hauptsache als Fortsetzung der Verhandlung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens anzusehen.
(3) Das für die Klagen zuständige Revisionsgericht hat die Verhandlung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens zu erledigen, auch wenn diese Erledigung von der Feststellung und Würdigung bestrittener Tatsachen abhängig ist.
A. Normzweck und dogmatische Einordnung.
Rn 1
Die Norm ist Ausdruck der Teilung des Wiederaufnahmeverfahrens in drei Abschnitte (vor §§ 578 ff Rn 3). Prozessual handelt es sich bei der Neuverhandlung um die Fortsetzung des Vorprozesses. Zur Neuverhandlung der Hauptsache im dritten Abschnitt des Wiederaufnahmeverfahrens kommt es erst, wenn die Wiederaufnahmeklage zulässig (§ 578 Rn 2–6) und begründet (§ 579 Rn 3, § 580 Rn 3) ist. Diese die ersten beiden Abschnitte voranstellende Prüfungsreihenfolge gilt generell, gleichgültig ob iSd Abs 2 der Norm abgesondert verhandelt wurde oder nicht. Abs 3 sieht im Übrigen vor, dass die Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit, insb also des tatsächlichen Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes, auch dann beim zuständigen Revisionsgericht zu erledigen ist, wenn dazu Tatsachenfeststellungen und -würdigungen notwendig sind.
B. Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen.
I. Umfang der Aufhebung und Neuverhandlung (Abs 1).
Rn 2
Ist die Wiederaufnahmeklage zulässig und begründet, wird das angefochtene Urt aufgehoben, und das frühere Verfahren wird als Hauptsache wieder anhängig. Für das Verfahren gelten grds die allgemeinen Regeln (s.a. § 585). Die Parteien treten wieder in die Parteirollen der Hauptsache, gleichgültig welche von ihnen Kl oder Bekl der Wiederaufnahmeklage war. Zur Rechtsfolge des Fehlens von Voraussetzungen im jeweiligen Prüfungsabschnitt s vor §§ 578 ff Rn 3.
Rn 3
Zur Aufhebung (iudicium rescindens) kann, wie zu den Ergebnissen des ersten und zweiten Abschnitts bzw gemeinsam damit, ein selbstständig anfechtbares (§ 280 II analog) Zwischenurteil ergehen (BGH NJW 93, 3140; NJW 82, 2449 [BGH 05.05.1982 - IVb ZR 707/80]; NJW 93, 1928 [BGH 31.03.1993 - XII ZR 19/92]; aA Zwischenurteil nach § 303: BSGE 13, 140; B/L/H/A/G/Hunke § 590 Rz 1). Das Endurteil entscheidet neu über die alte Klage (iudicium rescissorium). Auch wenn dieses ersetzende Urt dem angegriffenen inhaltlich entspricht, ist das frühere Urt aufzuheben (B/L/H/A/G/Hunke § 590 Rz 7 mwN; R/S/G § 162 Rz 30; nach der Gegenansicht ist § 343 ›Entscheidung aufrechtzuerhalten‹ entsprechend anzuwenden; vertreten wird auch, beides sei – alternativ – möglich: ThoPu/Reichold § 590 Rz 5; St/J/Jacobs § 590 Rz 11). Die Entscheidung zur Zulässigkeit und Begründetheit und die Aufhebung können aber auch zusammen mit der sachlichen Entscheidung über die neu verhandelte Hauptsache erfolgen. In den Gründen des Endurteils werden dann auch dazu Feststellungen getroffen.
Rn 4
Begrenzt ist der Umfang der Aufhebung und Neuverhandlung durch die gestellten Anträge (§ 588 I Nr 3) und dadurch, dass nur über den vom Anfechtungsgrund betroffenen Teil des Rechtsstreits neu verhandelt wird. Hierbei muss es sich allerdings um einen eigenständigen Streitgegenstand oder zumindest einen nach § 301 abteilbaren Gegenstand handeln; andernfalls erfolgt eine Aufhebung und Neuverhandlung in vollem Umfang (BAGE 93, 55 [BAG 02.12.1999 - 2 AZR 843/98]; Gilles ZZP 80, 391, 392; ThoPu/Reichold § 590 Rz 4). Bei Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes wird idR der gesamte Rechtsstreit erfasst sein. Vor allem beim Restitutionsgrund nach § 580 Nr 7b, Auffinden einer Urkunde, kann aber nur ein Teil des Streitgegenstandes vom Anfechtungsgrund betroffen sein (Zimmermann § 590 Rz 4). Soweit der Prozessstoff des Vorprozesses nicht von einem Anfechtungsgrund betroffen ist, bleibt er insofern auch in der Neuverhandlung verbindlich. Ansonsten sind die Prozesshandlungen des Gerichts und der Parteien und die Beweisergebnisse des Vorprozesses hinfällig und das Verfahren ist neu und selbstständig zu verhandeln. Eine Bindung an Feststellungen und Würdigungen durch das frühere Gericht besteht nicht.
II. Abgesonderte Verhandlung (Abs 2).
Rn 5
Es steht im Ermessen des Gerichts, gesondert über die Zulässigkeit und Begründetheit der Wiederaufnahmeklage zu verhandeln, wobei die Verhandlung über die Hauptsache dann als Fortsetzung anzusehen ist. Auch die Zusammenfassung in einem einheitlichen Verfahren ist aber möglich und sogar die Regel. Die notwendig einzuhaltende Prüfungsreihenfolge (Rn 1) erfordert also keine förmliche Trennung der Verfahrensabschnitte. Gilt allerdings für die Hauptsache eine andere Verfahrensart, ist zunächst gesondert über die Zulässigkeit und Begründetheit zu entscheiden, bevor in der Neuverhandlung die andere Verfahrensart eingehalten wird (s § 585 Rn 10).
III. Wiederaufnahmeklage vor dem Revisionsgericht (Abs 3).
Rn 6
Die Möglichkeit des zuständigen (s § 584) Revisionsgerichts, eigene Tatsachenfeststellungen und -w...