Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
Mehrere Personen können auch dann als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden, wenn gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden.
A. Normgegenstand.
Rn 1
Der für den zweiten Titel maßgebliche Begriff der Streitgenossenschaft und ihre Zulässigkeitsvoraussetzungen werden durch §§ 59, 60 determiniert. § 61 stellt Grundsätze auf, die für die einfache Streitgenossenschaft verbindlich sind, während § 62 spezielle Regeln für die notwendige Streitgenossenschaft schafft. § 63 enthält Anordnungen über den Prozessbetrieb und die Ladung, die für beide Arten der Streitgenossenschaft gelten. Der Gesetzgeber ermöglicht die Streitgenossenschaft aus prozessökonomischen Erwägungen. Von Klägerseite müssten – wäre auf die Einrichtung der Streitgenossenschaft verzichtet worden – mehrere Prozesse angestrengt werden, wenn ein Kl mehrere Parteien oder mehrere Kl eine oder mehrere Parteien verklagen möchten. In derartigen Konstellationen bestünde infolge der wechselseitigen Unabhängigkeit der Verfahren über die lästige Notwendigkeit einer Wiederholung der Sachverhaltsermittlung und der Beweisaufnahme hinaus die greifbare Gefahr einander widersprechender Entscheidungen, wobei sich zudem die Vervielfältigung der Kosten nachteilig auswirken würde. Zwecks einheitlicher Behandlung des Tatsachenstoffs und zur Kostenersparnis gestatten §§ 59, 60 die Verbindung selbstständiger Prozessrechtsverhältnisse, die aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen zusammenhängen.
B. Streitgenossenschaft.
I. Begriff.
Rn 2
Eine Streitgenossenschaft liegt begrifflich vor, wenn Prozesse mehrerer Kl oder Prozesse – gleich eines oder mehrerer Kläger – gegen mehrere Beklagte miteinander verbunden werden, also auf Kläger- oder Beklagtenseite bzw beiden Seiten mehrere Parteien stehen. Unter einer Streitgenossenschaft ist daher die Zusammenfassung mehrerer Einzel- bzw Parallelprozesse in einem Verfahren zu verstehen. Keine Streitgenossenschaft ist gegeben, wenn eine parteifähige Personenvereinigung mehrere Gesellschafter oder Vertreter hat. Ebenso ist die Beteiligung – außerhalb der Parteirolle stehender – Dritter am Rechtsstreit (Nebenintervention, § 66; Streitverkündung, § 72; notwendige Beiladung, §§ 640e, 856 III) von der Streitgenossenschaft zu unterscheiden. §§ 59 ff finden in allen Verfahren der ZPO einschließlich der Zwangsvollstreckung, im arbeitsgerichtlichen Verfahren, aber nicht in Verfahren des FamFG (BGH NJW 80, 1960 f; BayObLG NJW-RR 91, 1506) Anwendung. In Baulandsachen genießen §§ 217–231 BauGB den Vorrang (BGH NJW 89, 1038f [BGH 10.11.1988 - III ZR 63/87]).
II. Arten.
Rn 3
Das Gesetz differenziert zwischen der einfachen und der in § 62 (vgl die dortigen Erläuterungen) geregelten – ein einheitliches Vorgehen durch oder gegen die Streitgenossen gebietenden – notwendigen Streitgenossenschaft. Ferner kann zwischen einer ursprünglichen und einer nachträglichen Streitgenossenschaft sowie – abhängig davon, auf welcher Parteiseite die Personenmehrheit anzutreffen ist – einer aktiven oder passiven Streitgenossenschaft unterschieden werden.
III. Begründung und Beendigung der Streitgenossenschaft.
Rn 4
Eine (ursprüngliche) Streitgenossenschaft wird regelmäßig durch Klageerhebung eines Kl gegen mehrere Beklagte oder gemeinschaftliche Klageerhebung mehrerer Kl gegen einen oder mehrere Beklagte begründet. Eine zeitgleiche Zustellung der Klagen ist nicht erforderlich. Gegen die einzelnen Streitgenossen können unterschiedliche Anträge erhoben werden, so dass verschiedene Klagearten – gegen den einen Streitgenossen eine Leistungsklage, gegen den anderen ein Feststellungsantrag – miteinander kombiniert werden können (BayObLG NJW-RR 03, 134 [BayObLG 21.08.2002 - 1 Z AR 86/02]; 90, 742 [OLG Schleswig 07.12.1989 - 2 W 90/88]). Handelt es sich um eine einfache Streitgenossenschaft, besteht im Unterschied zur notwendigen Streitgenossenschaft kein Zwang, die Ansprüche in einem einheitlichen Verfahren zu verfolgen; vielmehr kann der Kl gegen die einzelnen Beklagten auch getrennt vorgehen (BGH NJW 87, 439 [BGH 09.10.1986 - I ARZ 487/86]). Eine (nachträgliche) Streitgenossenschaft entsteht aufgrund einer von Klägerseite veranlassten Parteierweiterung (BGH NJW 03, 2172; 89, 3225 [BGH 09.05.1989 - VI ZR 223/88]), indem die Klage gegen einen weiteren Beklagten gerichtet wird oder auf Klägerseite eine weitere Person – wie etwa iRd § 856 II – dem Rechtsstreit beitritt. Auch der Bekl kann nachträglich mittels einer Widerklage gegen den Kl und einen Dritten eine Parteierweiterung erwirken. Als Beispiele einer nachträglichen Streitgenossenschaft sind ferner der Eintritt mehrerer Gesamtrechtsnachfolger für eine Partei sowie die Prozessverbindung (§ 147) zu nennen. Die Streitgenossenschaft endet, wenn eine Person an die Stelle der Streitgenossen tritt, der Prozess gegen einen der Streitgenossen ohne dessen weitere Beteiligung an einem Rechtsmittel-, Nach- oder Betragsverfahren sowie der Kostenentscheidung seinen Abschluss findet oder die Verfahren gegen die einzeln...