Gesetzestext
(1) Wird dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte vorbehalten, so bleibt der Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren anhängig.
(2) Soweit sich in diesem Verfahren ergibt, dass der Anspruch des Klägers unbegründet war, gelten die Vorschriften des § 302 Abs. 4 Satz 2 bis 4.
(3) Erscheint in diesem Verfahren eine Partei nicht, so sind die Vorschriften über das Versäumnisurteil entsprechend anzuwenden.
A. Bedeutung.
Rn 1
Der Erlass eines bloßen Vorbehaltsurteils (§ 599 I) hat nach § 600 I zur Folge, dass der Rechtsstreit im Nachverfahren anhängig (rechtshängig) bleibt. Urkundenprozess und Nachverfahren bilden ein einheitliches Verfahren. Der Prozess wird bei identischem Streitgegenstand, aber frei von den Beschränkungen des Urkundenprozesses fortgesetzt. Bei Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Vorbehaltsurteil laufen Urkundenprozess und Nachverfahren nebeneinander her, was zu einer unübersichtlichen Lage führen kann.
B. Einheit von Urkundenprozess und Nachverfahren.
I. Zuständigkeit.
Rn 2
Das Nachverfahren wird vor dem Gericht geführt, das auch im Urkundenprozess zuständig war. Dabei bleibt es auch, wenn gegen das Vorbehaltsurteil Berufung eingelegt wird. Bei erstmaligem Vorbehaltsurteil in der Berufungsinstanz sollte aber auf Antrag analog § 538 II Nr 5 Zurückverweisung an die 1. Instanz erfolgen (vgl § 599 Rn 8).
II. Beginn des Nachverfahrens.
Rn 3
Das Nachverfahren beginnt mit der Verkündung des Vorbehaltsurteils. Eine Aussetzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Urkundenprozesses kommt nicht in Betracht. Das kann je nach der Fortentwicklung von Urkundenprozess und Nachverfahren zu einer verworrenen Prozesslage führen. Faktisch ist diese Gefahr allerdings dadurch gemildert, dass das Nachverfahren regelmäßig nicht weiterbetrieben wird, solange sich die Akten beim Rechtsmittelgericht des Urkundenprozesses befinden.
Rn 4
Der Rechtsstreit kann unmittelbar im Anschluss an das Vorbehaltsurteil im Nachverfahren weiterverhandelt werden (BGH NJW 73, 467). Das Gericht kann aber auch einen neuen Verhandlungstermin bestimmen. Eines besonderen Antrags einer Partei bedarf es dann nicht (MüKoZPO/Braun/Heiß § 600 Rz 4; Wieczorek/Schütze/Olzen § 600 Rz 5; aA Musielak/Voit § 600 Rz 2; auch BGHZ 86, 267, 270). Das folgt aus § 216 I; wenn der Bekl kein Interesse an der Durchführung des Nachverfahrens hat, mag er darauf verzichten.
III. Fortbestehende Verfahrenslage.
Rn 5
Aus der Einheit von Vor- und Nachverfahren folgt auch, dass die Prozesshandlungen des Gerichts und der Parteien im Urkundenprozess grds für das Nachverfahren fortwirken. So gilt eine PKH-Bewilligung für den Urkundenprozess auch für das Nachverfahren. Eine Beweisaufnahme braucht nicht wiederholt zu werden. Die Wirkungen eines Geständnisses oder der Anerkennung der Urkundenechtheit bleiben bestehen. Verzichtbare Rügen zur Zulässigkeit der Klage (zB der fehlenden Ausländersicherheit gem § 110 I, der fehlenden Kostenerstattung gem § 269 VI oder der Schiedsvereinbarung gem § 1032 I), die präkludiert sind (§ 296 III), bleiben verloren. Hingegen wirken Fristsetzungen und eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens gem § 296 I und II nur für den Urkundenprozess. Denn der Bekl darf sich im Urkundenprozess auf den bloßen Widerspruch beschränken (§ 599 I); dann kann ihm eine dortige Untätigkeit nicht im Nachverfahren schaden (MüKoZPO/Braun/Heiß § 600 Rz 8).
C. Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils.
Rn 6
Abgesehen von einer solchen Fortwirkung von Prozesshandlungen kann der Bekl sich im Nachverfahren nunmehr uneingeschränkt verteidigen und ist auch der Kl keinen Beschränkungen in seiner Beweisführung mehr unterworfen. Anderes gilt nur, soweit die Beurteilung in dem Vorbehaltsurteil bindende Wirkung auch für das Nachverfahren hat. Über diese herrscht allerdings in Rspr und Lehre seit langem Streit.
I. Ständige Rechtsprechung.
Rn 7
Nach einer in der stRspr verwendeten, noch auf die Motive zurückgehenden Formel ist das Vorbehaltsurteil insoweit für das Nachverfahren bindend, als es nicht auf den eigentümlichen Beschränkungen der Beweismittel im Urkundenverfahren beruht (etwa BGHZ 82, 115, 117 f; 158, 69, 72). Hergeleitet wird diese Bindung aus § 318 (BGHZ 82, 115, 120; BAG NJW 72, 1216). Allerdings ist jene Formel nie konsequent angewendet worden; vielmehr wurde dem Bekl stets gestattet, erstmals im Nachverfahren Vortrag zu halten und Beweis anzubieten, der auch im Urkundenprozess beachtlich gewesen wäre (vgl BGHZ 82, 115, 118f). Angenommen wird die Bindung va für die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (BGH NJW 93, 668; einschränkend Jena OLGR 09, 750) und für die Schlüssigkeit der Klage (BGHZ 158, 69, 72), und zwar unabhängig davon, ob im Urkundenprozess insoweit überhaupt eine nähere Prüfung stattgefunden hat. Auch die rechtliche Beurteilung etwa von Einwendungen des Bekl (BGH WM 79, 272; 94, 961, 962 [BGH 09.02.1994 - XII ZR 206/92]) und abschließende tatsächliche Feststellungen, zB zur Formgültigkeit des Wechsels (BGH WM 69, 1279, 1280) oder zur Vertragsstornierung (BGHZ 159, 334, 337), sollen endgültig sein. Insoweit ist freilich die Grenze fließend zu dem in der neueren Rspr vermehrt betonten Grundsatz, dass bei neuem Sachvortrag im Nachverfahren auch eine abweichende Beurteilung möglich...