Prof. Dr. Markus Gehrlein
Rn 4
Der Prozess wird ggü jedem einzelnen Streitgenossen durch individuelle Klagezustellung mit der Folge der Rechtshängigkeit in Gang gesetzt. Eine Klageerhebung im Wege einer eventuellen Streitgenossenschaft, also für den Fall, dass der Kl im Verfahren gegen den vorrangig verklagten Streitgenossen unterliegt, ist unwirksam, weil sie an eine außerprozessuale Bedingung, nämlich den Ausgang des fremden Prozesses, gekoppelt ist (BGH NJW-RR 08, 295 [BGH 20.09.2007 - IX ZR 91/06]; Hamm MDR 05, 533; vgl auch §§ 59, 60 Rn 12). Zustellungen sind generell an alle Streitgenossen zu bewirken, so dass etwaige Fristen für jeden Streitgenossen eigens laufen (KG VersR 75, 350). Mehrere Streitgenossen können einen gemeinsamen Prozessbevollmächtigten beauftragen, sich aber auch getrennt vertreten lassen. Angriffs- und Verteidigungsmittel können Streitgenossen ohne wechselseitige Bindung frei vorbringen. Werden Haftpflichtversicherer und Schädiger gemeinsam im selben Rechtsstreit in Anspruch genommen, liegt zwischen ihnen eine einfache Streitgenossenschaft vor, sodass die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen dürfen (BGH NJW 19, 3788 [BGH 23.07.2019 - VI ZR 337/18] Rz 16). Beim Verdacht einer Unfallmanipulation darf der neben seinem Versicherungsnehmer verklagte Haftpflichtversicherer im Prozess als Streithelfer unabhängig von dem Vortrag des Versicherungsnehmers durch eine abweichende Darstellung seine Interessen wahrnehmen (BGH RR 12, 233 Rz 3 ff). Tatsächliche Behauptungen darf ein Streitgenosse auch im Widerspruch zu einem anderen Streitgenossen aufstellen (LAG Hamm MDR 01, 531f). Ebenso bleibt dem einzelnen Streitgenossen vorbehalten, ob er ein Vorbringen der Gegenseite als unbestritten (§ 138 III) hinnimmt (BGH NJW-RR 03, 1344 [BGH 27.02.2003 - I ZR 145/00]). Ein Geständnis (§ 288) wirkt nur zu Lasten des die Erklärung abgebenden Streitgenossen, kann freilich ggü einem bestreitenden Streitgenossen iRd gem § 286 vorzunehmenden Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Im Zweifel gilt freilich, dass sich ein Streitgenosse Angriffs- und Verteidigungsmittel eines anderen Streitgenossen – was ggf durch Ausübung des Fragerechts (§ 139) zu klären ist – zu Eigen macht (BGH NJW 15, 2125 [BGH 24.03.2015 - VI ZR 179/13] Rz 14). Die Beweisaufnahme findet für alle Streitgenossen einheitlich statt (BGH NJW-RR 03, 1002). Die gerichtliche Beweiswürdigung hinsichtlich einer Tatsache, die für die Verfahren mehrerer Streitgenossen Bedeutung hat, kann nur in einem Sinne ausfallen (BGH NJW-RR 92, 253 f [BGH 11.10.1991 - V ZR 341/89]; München NJW-RR 94, 1278 [OLG München 28.04.1994 - 24 U 737/93]). Auch die Parteivernehmung eines Streithelfers ist für alle Verfahren gleichartig zu würdigen. Die Dispositionsbefugnis des einzelnen Streitgenossen bleibt unangetastet, so dass er zu einer Klageänderung (§ 263), einer Klagerücknahme (§ 269), einem Verzicht (§ 306) oder einem Anerkenntnis (§ 307) befugt ist, aber auch selbstständig einen Vergleich schließen kann. Die Frage der Säumnis und deren Folgen sind für die einzelnen Streitgenossen gesondert zu prüfen: Gegen einen allein säumigen Streitgenossen kann Versäumnisurteil erwirkt werden. Unterbrechung, Aussetzung, Stillstand und Ruhen des Verfahrens beurteilen sich jeweils nach der Person des Streitgenossen (BGH NJW-RR 03, 1002 [BGH 19.12.2002 - VII ZR 176/02]). Jeder einzelne Streitgenosse ist zur Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit (§ 42) berechtigt; hat das Gesuch Erfolg, ist der Richter für das gesamte Verfahren ausgeschlossen. Erfordert die von dem Gericht beabsichtigte Verfahrensgestaltung die Zustimmung der Partei (schriftliches Verfahren: § 128 II; Einzelrichtereinsatz: §§ 349 III, 527 IV), ist das Einverständnis aller Streitgenossen erforderlich. Bei fehlendem Einvernehmen eines einzelnen Streitgenossen kommt eine Abtrennung des Verfahrens (§ 145) in Betracht.