Gesetzestext
(1) 1Ab dem Tag der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage kann gegen den Beklagten keine andere Musterfeststellungsklage erhoben werden, soweit deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft. 2Die Wirkung von Satz 1 entfällt, sobald die Musterfeststellungsklage ohne Entscheidung in der Sache beendet wird.
(2) Werden am selben Tag mehrere Musterfeststellungsklagen, deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft, bei Gericht eingereicht, findet § 147 Anwendung.
(3) Während der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage kann ein angemeldeter Verbraucher gegen den Beklagten keine Klage erheben, deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft.
(4) Das Gericht hat spätestens im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf sachdienliche Klageanträge hinzuwirken.
(5) 1Auf die Musterfeststellungsklage sind die im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit sich aus den Vorschriften dieses Buches nicht Abweichungen ergeben. 2Nicht anzuwenden sind § 128 Absatz 2, § 278 Absatz 2 bis 5 sowie die §§ 306 und 348 bis 350.
(6) Die §§ 66 bis 74 finden keine Anwendung im Verhältnis zwischen den Parteien der Musterfeststellungsklage und Verbrauchern, die
1. |
einen Anspruch oder ein Rechtsverhältnis angemeldet haben oder |
2. |
behaupten, entweder einen Anspruch gegen den Beklagten zu haben oder vom Beklagten in Anspruch genommen zu werden oder in einem Rechtsverhältnis zum Beklagten zu stehen. |
A. Zweck.
Rn 1
Anders als beim KapMuG hat der Gesetzgeber die Regeln zur Musterfeststellungsklage in die ZPO integriert. Ein besonderer Verweis auf die Verfahrensregeln der ZPO ist daher unnötig. Jedoch enthält § 610 einzelne Abweichungen und Sonderregeln für das Musterfeststellungsverfahren.
B. Anwendung der allgemeinen Regeln mit Ausnahmen (Abs 5).
Rn 2
Abs 5 stellt klar, dass im Grundsatz die für das erstinstanzliche Verfahren vor dem LG geltenden Normen der ZPO anzuwenden sind, obwohl das Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG geführt wird. Gem Abs 5 S 2 sind nicht anzuwenden die Regeln zum bloß schriftlichen Verfahren (§ 128 II), zur Güteverhandlung (§ 287 II–V), zum Verzicht (§ 306) und zur Entscheidung durch den Einzelrichter (§§ 348 ff). Spruchkörper ist daher der Senat des OLG.
C. Konkurrenz mehrerer Musterfeststellungsklagen (Abs 1 u 2).
Rn 3
Konkurrierende Musterfeststellungsklagen iSd Abs 1 und 2 liegen nur dann vor, wenn sowohl der Beklagte als auch der Lebenssachverhalt und die Feststellungsziele der jeweiligen Klagen identisch sind. Daraus folgt zunächst, dass eine Musterfeststellungsklage, die sich auf einen anderen Lebenssachverhalt oder einen anderen Beklagten bezieht, ohne Weiteres zulässig ist, und zwar auch dann, wenn sie identische Feststellungsziele betrifft (BeckOKZPO/Lutz Rz 23). Dasselbe gilt bei Identität des Beklagten und des Lebenssachverhalts, aber abweichenden Feststellungszielen. Allerdings sollte in diesem Fall nicht erst ein exakt identischer Wortlaut der Feststellungsziele eine Konkurrenz und damit die Anwendung von Abs 1 und 2 begründen, sondern bereits der Sache nach identische Feststellungsziele (vgl Röthemeyer Rz 7).
Rn 4
Die Formulierung in Abs 1 S 1, wonach ›derselbe‹ Lebenssachverhalt betroffen sein muss, macht sachlich keinen Unterschied zum Begriff des ›gleichen‹ Lebenssachverhalts, wie er zB in § 204 I Nr 6a BGB und § 6 III Nr 2 KapMuG verwendet wird (Weinland Rz 135).
I. Einreichung bei Gericht am selben Tag.
Rn 5
Abs 2 regelt den Fall, dass mehrere Musterfeststellungsklagen mit demselben Inhalt am selben Tag bei Gericht eingehen. Sie sind beide (vorbehaltlich der sonstigen Voraussetzungen) zulässig und können gem § 147 verbunden werden. Darüber entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen; idR wird aber eine Verbindung vorzunehmen sein, um parallele Verfahren zu identischen Fragen zu vermeiden (Röthemeyer Rz 32; Weinland Rz 141).
II. Einreichung an unterschiedlichen Tagen.
Rn 6
Gehen die ggf konkurrierenden Musterfeststellungsklagen an unterschiedlichen Tagen bei Gericht ein, so ist zu unterscheiden: Ist eine Musterfeststellungsklage bereits dem Beklagten zugestellt worden und damit gem §§ 253 I, 261 I rechtshängig, so sind alle weiteren Musterfeststellungsklagen gegen diesen Beklagten unzulässig, soweit sie denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betreffen. Auch hier erscheint der Wortlaut zu eng: Unzulässig sind dann auch solche Klagen, die im Wortlaut leicht abweichende, aber doch der Sache nach identische Feststellungsziele geltend machen.
Rn 7
Erreichen mehrere konkurrierende Musterfeststellungsklagen das Gericht, bevor eine von ihnen dem Beklagten zugestellt ist, so führt die Zustellung einer dieser Klagen zur Unzulässigkeit der anderen (BeckOK ZPO/Lutz Rz 24.1). Nach dem Zweck der Abs 1 und 2 und wegen § 271 I wird das Gericht im Regelfall die Zustellung nach der Reihenfolge des Eingangs bei Gericht bewirken (Röthemeyer Rz 14; krit jedoch wegen der Unberechenbarkeit amtlicher Zustellvorgänge Schneider BB 18, 1986, 1992).
Rn 8
Werden konkurrierende Musterfeststellungsklage...