Prof. Dr. Markus Gehrlein
Rn 7
Der streitgenössische Nebenintervenient hat eine eigenartige Doppelstellung, weil er Streithelfer bleibt, ihm aber durch die Verweisung des § 69 auf § 61 die (fiktive) Stellung eines Streitgenossen zukommt (BGH NJW 65, 760 [BGH 22.12.1964 - Ia ZR 237/63]). Da § 69 eine Rechtskrafterstreckung, Gestaltungswirkung oder erweiterte Vollstreckbarkeit voraussetzt, ist der streitgenössischen Nebenintervenient stets als notwendiger Streitgenosse (§ 62 I Alt 1) anzusehen. Seiner Rechtsstellung nach ist der streitgenössische Nebenintervenient zwischen einfachem Streithelfer und Partei angesiedelt. Deshalb ist zwischen den Befugnissen zu unterscheiden, die er als Streithelfer und denen, die er als notwendiger Streitgenosse wahrnehmen darf. Soweit die gerichtliche Entscheidung zu seinen Lasten Rechtskraft entfaltet, kann sich der streitgenössische Nebenintervenienten im Blick auf die Interventionswirkung (§ 68) nicht auf eine mangelhafte Prozessführung durch die Hauptpartei berufen.
I. Befugnisse eines Streithelfers.
Rn 8
Da auch der streitgenössische Nebenintervenient an einem fremden Rechtsstreit mitwirkt, muss er den Prozess in der Lage zum Zeitpunkt seines Beitritts annehmen. Er ist nicht befugt, für sich selbst Anträge zu stellen und etwa eine Widerklage zu erheben. Dem streitgenössischen Nebenintervenienten kann mangels Parteistellung nichts zu- oder aberkannt werden. Ferner darf der streitgenössische Nebenintervenient nicht über den Streitgegenstand verfügen, weder eine Klageänderung vornehmen noch eine Zwischenfeststellungsklage (§ 256 II) erheben oder gar die Klage zurücknehmen. Ebenso ist es ihm verwehrt, ein Rechtsmittel der unterstützten Hauptpartei zurückzunehmen. Auch kann er nicht für sich selbst in der Hauptsache bestreiten. Einer Klagerücknahme durch die unterstützte Hauptpartei kann er, weil er auch auf die Klageerhebung keinen Einfluss hat, nicht entgegentreten (BGH NJW 65, 760; NZG 10, 831 [BGH 10.05.2010 - II ZB 3/09] Rz 16; München MDR 00, 1152; Köln NJW-RR 95, 1251) und nicht etwa den Prozess nach Klagrücknahme selbstständig weiterführen (BGH NJW 65, 760 [BGH 22.12.1964 - Ia ZR 237/63]). Entsprechendes gilt bei einer übereinstimmenden Erledigungserklärung (§ 91a). Ein Grund für die Entbehrlichkeit einer Zustimmung des streitgenössischen Nebenintervenienten liegt darin, dass sowohl bei einer Klagerücknahme als auch einer Erledigung keine den Streithelfer bindende (§ 68) Sachentscheidung ergeht (München MDR 00, 1152).
II. Befugnisse des Streitgenossen.
Rn 9
Als wesentlicher Unterschied zum einfachen darf der streitgenössische Nebenintervenient das Recht der unterstützten Hauptpartei betreffende Angriffs- und Verteidigungsmittel auch gegen deren Widerspruch wahrnehmen (BGHZ 92, 275 f = NJW 85, 386; BGHZ 89, 121, 124 = NJW 84, 353; BAG DB 11, 2441 Rz 21). Der neben dem Versicherungsnehmer verklagte Versicherer darf im Interesse einer Klageabweisung einen der Darstellung des Versicherungsnehmers widersprechenden Sachverhalt vortragen (BGH MDR 12, 181 [BGH 29.11.2011 - VI ZR 201/10] Rz 3 ff). Ein Geständnis (§ 288) der Hauptpartei ist bei einem Widerspruch des streitgenössischen Nebenintervenienten unbeachtlich, aber iRd § 286 zu würdigen. Ebenso verhält es sich, wenn die Hauptpartei einem Geständnis des streitgenössischen Nebenintervenienten widerspricht. Ein Anerkenntnis (§ 307) oder ein Verzicht (§ 306) der unterstützten Hauptpartei ist bei einem Widerspruch des streitgenössischen Nebenintervenienten wirkungslos (BGH NJW-RR 93, 1254 [BGH 12.07.1993 - II ZR 65/92]; Schlesw NJW-RR 93, 930 [OLG Schleswig 28.01.1993 - 5 U 210/91]). Mangels Dispositionsbefugnis über den Streitgegenstand ist der streitgenössische Nebenintervenient nicht zu einem Anerkenntnis oder Verzicht berechtigt (ThoPu/Hüßtege Rz 6; str). Zum Zwecke der Aufklärung kann das persönliche Erscheinen des streitgenössischen Nebenintervenienten angeordnet werden (§ 141). Er ist iRd Beweiserhebung als Partei und nicht als Zeuge zu vernehmen. Eine Frist- oder Terminsversäumung liegt nicht vor, wenn der streitgenössische Nebenintervenient die Frist gewahrt hat oder im Termin erschienen ist. Unterbrechungsgründe (§§ 239 ff) in der Person des streitgenössischen Nebenintervenienten sind zu beachten. Für den streitgenössischen Nebenintervenienten, dem Urteile nicht nur formlos mitzuteilen, sondern zuzustellen sind, laufen unabhängig von der Zustellung an die Hauptpartei eigene, auf die an ihn bewirkte Zustellung bezogene Rechtsmittelfristen (BGHZ 89, 121, 125 = NJW 84, 353; BGH NJW 01, 1355; NJW-RR 97, 919). War der streitgenössische Nebenintervenient erstinstanzlich nicht beigetreten, bestimmen sich die Rechtsmittelfristen nach dem Zeitpunkt der Zustellung an die Hauptpartei (BGH NJW 08, 1889; ZIP 05, 45). Dem nicht beigetretenen und über das Verfahren nicht informierten Streithelfer kann Wiedereinsetzung gewährt werden (BGH NJW 08, 1889, 1890). Der Streithelfer ist ungeachtet eines Rechtsmittelverzichts der Hauptpartei zur Rechtsmitteleinlegung befugt (BGH NJW 08, 1889). Abweichend vom einfachen kann der streitgen...