Prof. Dr. Markus Gehrlein
Rn 3
Nach dem Wortlaut des § 69 entsteht eine streitgenössische Nebenintervention nur bei einer Rechtskrafterstreckung im Verhältnis zwischen Streithelfer und Gegenpartei. Weitergehend ist die Bestimmung auch in Fällen der Gestaltungswirkung und der erweiterten Vollstreckbarkeit anwendbar.
1. Rechtskraftwirkung.
Rn 4
Grundfall einer streitgenössischen Nebenintervention ist eine Rechtskrafterstreckung des Vorprozesses auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Streithelfer und dem Gegner, die etwa durch §§ 76 IV, 325, 327, 640e, 728, 856, 61 II GmbHG, 248, 249, 256 VII AktG, 111 II GenG, 183 InsO, 128, 129 HGB, 407 II, 408 BGB, 3 Nr 8 PflVG statuiert wird. Einschränkend muss sich die Rechtskrafterstreckung gerade auf das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zur Gegenpartei beziehen. Eine (allseitige) Rechtskrafterstreckung für und gegen alle (Bsp § 640h) genügt nicht, weil der Nebenintervenient in diesen Fällen wie jeder Dritte von der Entscheidung betroffen ist und dieser Umstand es nicht rechtfertigt, ihm erweiterte Befugnisse zuzubilligen (BGHZ 92, 275, 277 = NJW 85, 386). Ein der Partei beitretender materieller Rechtsnachfolger ist trotz Rechtskrafterstreckung (§ 325) kraft § 265 II 3 nur einfacher Nebenintervenient. Ebenso ist einfacher Nebenintervenient der Versicherer, der dem beklagten Schädiger als seinem Versicherungsnehmer im Haftpflichtprozess beitritt (Frankf NJW-RR 10, 140 [OLG München 15.07.2009 - 31 AR 341/09]). Der Erwerber des Patents, der einem vor der Eintragung des Rechtsübergangs eingeleiteten Nichtigkeitsverfahren auf Seiten des Bekl beitritt, ist entsprechend § 265 Abs 2 Satz 3 ebenfalls nicht streitgenössischer Nebenintervenient (BGH GRUR 12, 149 Rz 98f). Gleiches gilt infolge Rechtskrafterstreckung für den Betriebserwerber im Rechtsstreit eines Arbeitnehmers gegen den bisherigen Betriebsinhaber (BAG DB 2011, 2441 Rz 20 ff).
2. Gestaltungswirkung.
Rn 5
Gleich steht der Rechtskrafterstreckung eine dem Urt innewohnende, ggü jedermann, also auch dem Streithelfer, geltende Gestaltungswirkung, sofern zwischen der Gegenpartei und dem Streithelfer ein Rechtsverhältnis gegeben ist. Ein formell rechtskräftiges Gestaltungsurteil ändert unmittelbar die bestehende Rechtslage, indem ein Rechtsverhältnis begründet, umgestaltet oder aufgehoben wird. Beispiele bilden die Klage auf Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft (§ 1496 BGB), die Erbunwürdigkeitsklage (§ 2342 BGB), die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (BGH NJW-RR 10, 1476 [BGH 14.06.2010 - II ZB 15/09] Rz 9; §§ 248, 249 AktG, die auf die GmbH analog anwendbar sind, § 51 V GenG) gegen Gesellschafterbeschlüsse (BGHZ 122, 211, 240; BGH NJW 99, 1638; NZG 09, 948), die Nichtigkeitsklage gegen AG, Genossenschaft und GmbH (§§ 275 IV AktG, 75 II GmbHG, 96 GenG) sowie eine gemeinschaftliche Vollstreckungsgegenklage nach § 767. Schweben mehrere aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren, die denselben Hauptversammlungsbeschluss betreffen, kann ein Mitaktionär jedem als Streithelfer beitreten (BGH NZG 10, 831 [BGH 10.05.2010 - II ZB 3/09] Rz 15, 16). Die Ausschlussfrist des § 246 Abs 4 AktG gilt nicht zu Lasten des auf Seiten der beklagten Gesellschaft beitretenden Nebenintervenienten (BGH NZG 09, 948 [BGH 15.06.2009 - II ZB 8/08]). In diesen Fällen ist § 69 zumindest analog anwendbar (vgl auch Gehrlein AG 94, 103 ff).
3. Erweiterte Vollstreckbarkeit.
Rn 6
Auch in diesen Konstellationen liegt, ohne dass es auf ein Rechtsverhältnis zwischen Streithelfer und Gegenpartei ankommt, eine streitgenössische Nebenintervention vor (BGH NJW 01, 1355f). Als Beispiele sind §§ 729, 740, 741, 743 zu nennen. Keine streitgenössische Nebenintervention ist gegeben, wenn gegen den Streithelfer noch ein Duldungstitel erwirkt werden muss (BGH NJW 01, 1355f [BGH 17.01.2001 - XII ZB 194/99]). Nicht ausreichend ist eine bloße Tatbestandswirkung (Frankf OLGR 05, 641).