Gesetzestext
(1) Zeugnisse über die Rechtskraft der Urteile sind auf Grund der Prozessakten von der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges und, solange der Rechtsstreit in einem höheren Rechtszug anhängig ist, von der Geschäftsstelle des Gerichts dieses Rechtszuges zu erteilen.
(2) 1Soweit die Erteilung des Zeugnisses davon abhängt, dass gegen das Urteil ein Rechtsmittel nicht eingelegt ist, holt die Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges bei der Geschäftsstelle des für das Rechtsmittel zuständigen Gerichts eine Mitteilung in Textform ein, dass bis zum Ablauf der Notfrist eine Rechtsmittelschrift nicht eingereicht sei. 2Einer Mitteilung durch die Geschäftsstelle des Revisionsgerichts, dass ein Antrag auf Zulassung der Revision nach § 566 nicht eingereicht sei, bedarf es nicht.
A. Rechtskraftzeugnis (§ 706 I).
I. Begriff und Funktion.
Rn 1
§ 706 I regelt die Erteilung eines Zeugnisses über die Rechtskraft. Rechtskraftzeugnisse sind öffentliche Urkunden nach § 415 und erbringen mit der Beweiswirkung des § 418 den Nachweis, dass die Entscheidung, um die es geht, innerhalb der Rechtsmittel- oder Einspruchsfrist nicht angefochten wurde und daher formelle Rechtskraft eingetreten ist. Sie treffen dagegen weder eine Feststellung über die inhaltliche Richtigkeit (BGHZ 100, 206) noch über die materielle Rechtskraft der Entscheidung (BGHZ 31, 391 = NJW 60, 671; BGH FamRZ 71, 635). Rechtskraftzeugnisse können für alle Urteile und Beschlüsse erteilt werden, die der formellen Rechtskraft fähig sind (§ 705 Rn 1–3), zum Beispiel für einen Kostenfestsetzungsbeschluss nach §§ 103 ff (Naumbg JurBüro 02, 38). Der Nachweis der formellen Rechtskraft ist keine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung. Allerdings muss derjenige Gläubiger, der Inhaber eines gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Titels ist und nach dem Eintritt der Rechtskraft ohne Sicherheitsleistung vollstrecken möchte, ein Rechtskraftzeugnis vorlegen, um den Eintritt der Rechtskraft nachzuweisen. Die Vorlage eines Rechtskraftzeugnisses kann darüber hinaus erforderlich werden, wenn es um die Rückgabe einer Sicherheit nach § 715 geht oder die Klagefrist beim Wiederaufnahmeverfahren nach § 586 berechnet werden soll (MüKoZPO/Götz § 706 Rz 1). Auch im materiellen Recht gibt es Situationen, in denen ein Rechtskraftzeugnis verlangt werden kann (§§ 204 II, 1561 II Nr 1 BGB).
II. Erteilung.
1. Zuständigkeit.
Rn 2
Die Erteilung von Rechtskraftzeugnissen ist funktionell dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zugewiesen. Grundsätzlich ist die Geschäftsstelle desjenigen Gerichts zuständig, das über die Rechtssache erstinstanzlich befunden hat (iudex a quo). Das gilt auch dann, wenn die Entscheidung von einem örtlich oder sachlich nicht zuständigen Gericht stammt (Stuttg Rpfleger 79, 145). Ist die Sache bei einem Gericht des höheren Rechtszugs anhängig, wird das Rechtskraftzeugnis von dem Urkundsbeamten seiner Geschäftsstelle erteilt. Das ist zweckmäßig, weil sich die Akten, aufgrund deren das Rechtskraftzeugnis nach § 706 I 1 erteilt wird, ohnehin dort befinden. Die Anhängigkeit der Rechtssache ist aus der Sicht des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle festzustellen. Sie knüpft sich an den Eingang der Rechtsmittelschrift und dauert solange an, bis es zur ordnungsmäßigen Rücksendung der Akten an das Ausgangsgericht kommt, also uU auch noch dann, wenn die rechtsprechende Tätigkeit des Gerichts durch Entscheidung, Vergleich, Rücknahme oder Verzicht schon beendet ist (St/J/Münzberg § 706 Rz 4). Die Anhängigkeit beim Gericht des höheren Rechtszugs besteht fort, solange die Akten in der Geschäftsstelle noch benötigt werden, etwa für die Abfassung und Ausfertigung des Urteils oder ein Berichtigungsverfahren. Die Beantragung von Prozesskostenhilfe für die zukünftige Einlegung eines Rechtsmittels macht den Rechtsstreit dagegen bei ihm nicht anhängig (BGH Rpfleger 56, 97).
2. Verfahren.
Rn 3
Die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses setzt einen formlosen Antrag voraus, den die Prozessbeteiligten, Parteien und Streithelfer stellen dürfen, ohne dass sie sich dafür eines Anwalts bedienen müssen (§ 78 III). Ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis muss nicht gegeben sein (München FamRZ 85, 202), so dass sich die Prüfungskompetenz des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auf das Vorliegen der Antragsberechtigung und den Eintritt der formellen Rechtskraft nach § 705 beschränkt. Diese ist aufgrund der Prozessakten festzustellen. Fehlen Angaben (zB Zustellungsnachweise, Notfristattest nach § 706 II), obliegt es dem Antragsteller, diese nachzuliefern. Er muss dazu, bevor der Antrag auf Zeugniserteilung zurückgewiesen wird, aufgefordert und auf die Unklarheiten hingewiesen werden (Rechtsgedanke des § 139). Bei Entscheidungen, gegen die ein Rechtsmittel oder Einspruch nicht statthaft ist (vgl § 705 Rn 2, 3), muss das Rechtskraftzeugnis ohne weitere Prüfung ausgestellt werden. Ist dagegen ein Rechtsmittel oder Einspruch statthaft, obliegt es dem Urkundsbeamten, zu prüfen, ob innerhalb der Notfrist ein Rechtsmittel oder Einspruch eingelegt wurde, nicht hingegen, ob diese zulässig sind (Zö/Se...