Prof. Dr. Markus Gehrlein
Rn 7
Eine Streitverkündung ist zum einen zulässig, sofern der Streitverkünder Ansprüche auf ›Gewährleistung‹ oder ›Schadloshaltung‹ gegen einen Dritten zu haben glaubt. Der Tatbestand ist nach einhelliger Auffassung nur beispielhaft gefasst und die Vorschrift unabhängig von der Art des Anspruchs großzügig anzuwenden (BGHZ 116, 95, 101 = NJW 92, 1698). Ausschlaggebend ist darum, ob der die Streitverkündung motivierende Drittanspruch mit dem im Erstprozess geltend gemachten Anspruch in einem wechselseitigen Verhältnis der Ausschließlichkeit (Alternativverhältnis) des Inhalts steht, dass der Erstbeklagte und der Dritte dem Streitverkünder alternativ haften (BGHZ 116, 95, 100 f = NJW 92, 1698; BGH NJW 89, 521 f; BGH NJW 15, 559 Rz 15). Die alternativen Ansprüche brauchen weder auf derselben Rechtsgrundlage zu beruhen noch inhaltlich identisch zu sein: Es genügt, dass sie auf das gleiche wirtschaftliche Ziel gerichtet sind (BGHZ 116, 95, 101 = NJW 92, 1698). Das Alternativverhältnis kann auf rechtlichen oder tatsächlichen Gründen beruhen (BGH NJW 15, 559 Rz 16). Jedoch scheidet eine Streitverkündung zur Sicherung etwaiger Regressansprüche Dritter gegen den Streitverkündungsempfänger aus (München BauR 2012, 1682).
a) Gewährleistungsansprüche.
Rn 8
Sie kommen auf der Grundlage der §§ 434, 435, 437, 453 (Kauf); 523 (Schenkung); 365 (Leistung an Erfüllung statt); 536 ff, 581 (Miete); 633, 634 (Werkvertrag); 651d (Reisevertrag); 1624; 2182; 2376 BGB; §§ 377, 378 HGB in Betracht. Es steht gleich, ob der Gewährleistungsanspruch im Folgeprozess angriffs- oder verteidigungsweise geltend gemacht wird. Ansprüche auf Nichtzahlung bzw Nutzungsentschädigung bilden kein Gewährleistungsrecht oder einen Anspruch auf Schadenshaltung (BGHZ 179, 361 Rz 23).
b) Schadloshaltung.
Rn 9
Damit sind Schadensersatzansprüche gemeint, die der Partei bei Verlust des Hauptprozesses gegen den Streitverkündeten zustehen. Hierzu gehören Ausgleichsansprüche unter Gesamtschuldnern (BGH ZIP 15, 1189 Rz 25), Regressansprüche des Unternehmers beim Verbrauchsgüterkauf gegen den Lieferanten (§§ 478, 479 BGB), des Bürgen gegen den Hauptschuldner (§ 774 BGB), des Beauftragten (Geschäftsführer) gegen den Auftraggeber (Geschäftsherr: §§ 670, 677, 683 BGB), des versicherten Schädigers gegen den Versicherer, des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer, des Dienstherrn gegen den Beamten im Fall der Staatshaftung, des Mandanten gegen den Rechtsanwalt bei verspäteter Verjährungshemmung. Ferner sind zu nennen die Ersatzansprüche des Versenders gegen den Spediteur und Lagerhalter wegen Verlust, Beschädigung oder verspäteter Lieferung des Gutes (§§ 424, 439 HGB), Regressansprüche des Bauträgers gegen Architekt und Bauunternehmer (BGH NJW 12, 674 [BGH 08.12.2011 - IX ZR 204/09]) sowie der Rückgriff im Wechsel- und Scheckrecht und unter Gesamtschuldnern.
c) Wechselseitige Ausschließung (Alternativansprüche).
Rn 10
In diese Kategorie fallen Ansprüche des Streitverkünders gegen Dritte, die anstelle des Bekl alternativ als Schuldner der eingeklagten Leistung oder von Schadensersatz in Betracht kommen. Derartige Konstellationen liegen vor, falls für Baumängel entweder der Bauhandwerker oder der Baubetreuer einzustehen hat (BGHZ 70, 187 = NJW 78, 643), für einen Wasserschaden eine von zwei unabhängig an einem Bau beteiligte Firmen verantwortlich ist (BGHZ 65, 127 = NJW 76, 39), der Werklohn entweder vom Hauseigentümer oder dem Mieter geschuldet ist (Bambg OLGZ 79, 209), der Ersatzanspruch wegen Verletzung der Streupflicht gegen die Stadt oder den Hauseigentümer bzw gegen die Orts- oder die Verbandsgemeinde gerichtet ist (BGH MDR 86, 127 [BGH 15.11.1984 - III ZR 97/83]), in der Corona-Lage entweder die Miete anzupassen ist oder ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch besteht (Scholz NJW 20, 2209, 2212f) Besteht – wie bei einer Gesamtschuld – eine kumulative Haftung, scheidet mangels alternativer Schuldnerschaft eine Streitverkündung aus (BGHZ 100, 257, 259 = NJW 87, 1394; BGH NJW 08, 519, 520; Saarbr OLGR 05, 371; Frankf VRR 2012, 362). Soweit Gesamtschuldner in unterschiedlichem Umfang haften, ist Alternativität gegeben (BGHZ 70, 187, 191 = NJW 78, 643). Nicht ausreichend ist hingegen eine subsidiäre Haftung eines Dritten, weil ein gleichzeitiges Vorgehen gegen beide Schuldner ausscheidet (Hamm MDR 85, 588 f; anders wohl BGHZ 8, 72, 80 = NJW 53, 420).