Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
(1) Eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, kann bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden.
(2) 1Das Gericht und ein vom Gericht ernannter Sachverständiger sind nicht Dritter im Sinne dieser Vorschrift. 2§ 73 Satz 2 ist nicht anzuwenden.
(3) Der Dritte ist zu einer weiteren Streitverkündung berechtigt.
A. Begriff.
Rn 1
Streitverkündung ist die durch eine Partei (Streitverkünder) erfolgte förmliche Benachrichtigung eines am Prozess nicht beteiligten Dritten (Streitverkündungsempfänger, Streitverkündeter, Streitverkündungsgegner) vom Schweben eines Prozesses, um ihm die Möglichkeit der Prozessbeteiligung oder in den Fällen der §§ 75 bis 77 der Prozessübernahme zu geben und dem Streitverkünder den Rückgriff gegen den Dritten zu erleichtern (§ 68). Das Institut der Streitverkündung dient dem Zweck, widersprechenden Bewertungen desselben Sachverhalts durch verschiedene Richter vorzubeugen und zugleich überflüssige Verfahren zu vermeiden (BGHZ 36, 212, 215 = NJW 62, 387). Der Anwendungsbereich der Streitverkündung ist mit dem der Nebenintervention deckungsgleich. Die Rechtswirkungen der Streitverkündung (§§ 74, 68) werden unabhängig davon ausgelöst, ob sich der Streitverkündete zum Beitritt entschließt oder nicht. Es steht im freien Ermessen des Streitverkünders, ob er eine Streitverkündung erklärt; eine Verpflichtung zu einer Streitverkündung sieht lediglich § 841 vor. Die Streitverkündung liegt vornehmlich im Interesse des Streitverkünders, der dank der Interventionswirkung (§§ 74, 68) dagegen geschützt wird, zwei Prozesse zu verlieren, obwohl er nach materiellem Recht wenigstens in einem von ihnen obsiegen müsste (BGHZ 100, 257, 262 = NJW 87, 1894). Steht dem Bekl – etwa einem Bürgen – ein Regress offen, bestünde die Gefahr, dass er nach einer Verurteilung zur Zahlung an den Gläubiger den Rückgriffsprozess gegen den Schuldner mangels einer Hauptverbindlichkeit ebenfalls verliert.
B. Streitverkündung.
I. Prozesshandlung.
Rn 2
Da die Streitverkündung eine Prozesshandlung darstellt, ist sie nur wirksam, wenn die allgemeinen Prozesshandlungsvoraussetzungen (§ 66 Rn 14) vorliegen. Die Form der Streitverkündung sowie ihre weitere Behandlung werden in § 73 geregelt. Die Frage, ob die Streitverkündung zulässig war und darum materiell-rechtliche und prozessrechtliche Wirkungen auslösen konnte, wird erst in dem Folgeprozess geprüft (BGHZ 116, 95, 98 = NJW 92, 1698; BGHZ 100, 257, 259 = NJW 87, 1894). Das gilt auch dann, wenn die Streitverkündung ggü dem bereits bestellten oder erwarteten Prozessbevollmächtigten des Gegners erfolgt (BGH NJW 11, 1078 [BGH 08.02.2011 - VI ZB 31/09] Rz 9 ff). Allerdings sind in dem Vorprozess eingetretene Heilungswirkungen (§ 295) und Bindungswirkungen (§ 71 II) zu beachten.
II. Person des Streitverkündeten.
Rn 3
Die Streitverkündung kann sich gegen jeden Dritten richten, der nicht Partei ist. Darum kann nicht die Partei sich selbst oder dem Gegner den Streit verkünden (vgl München NZG 11, 1280 [OLG München 02.03.2011 - 28 U 4209/10] Rz 3 ff). Ebenso scheidet eine Streitverkündung an den eigenen gesetzlichen Vertreter oder den eigenen Prozessbevollmächtigten aus. Dritter (Streitverkündeter) kann hingegen ein Streitgenosse des Gegners oder des Streitverkünders sein. Auch einem Zeugen kann der Streit verkündet werden; dient die Maßnahme freilich dem Zweck, auf sein Aussageverhalten Einfluss zu nehmen, ist der Antrag wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig. Wie Abs 2 nunmehr klarstellt, können Richter und gerichtlich bestellte Sachverständige wie auch sonstige neutrale Amtsträger aufgrund ihrer mit einer Streithilfe unvereinbaren Rechtsstellung in dem Prozess nicht Streitverkündete sein (BGHR 07, 415; NJW 06, 3214 [BGH 27.07.2006 - VII ZB 16/06]). Falls die Voraussetzungen einer Streitverkündung im Verhältnis sowohl des Kl als auch des Bekl zu einem Dritten bestehen, können beide ihm den Streit verkünden (doppelte Streitverkündung). Freilich kann der Dritte nur einer Partei beitreten. Eine Interventionswirkung wird hier lediglich im Verhältnis zur unterlegenen Partei begründet. Schließlich ist der Streitverkündete nach Abs 3 seinerseits berechtigt, einem Dritten den Streit zu verkünden (weitere Streitverkündung). Diese Befugnis hängt nicht davon ab, ob der (Erst-)Streitverkündete dem Rechtsstreit beigetreten ist (BGH VersR 97, 1363, 1365 [BGH 15.05.1997 - III ZR 46/96]). Ein solches Vorgehen kann sich bei Lieferungsketten – Inanspruchnahme des Letztverkäufers durch Käufer, Rückgriff gegen Vorverkäufer – anbieten. Die Streitverkündungswirkungen verwirklichen sich hier zwischen dem Weiterverkünder und dem Dritten. Wer von einer ihm möglichen weiteren Streitverkündung abgesehen hat, kann sich nicht im nachfolgenden für ihn ungünstig verlaufenden Rechtsstreit unter Hinweis auf den Vorprozess auf die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung berufen. Streitet ein ...