Gesetzestext
(1) Durch den Vollstreckungsauftrag und die Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung wird der Gerichtsvollzieher ermächtigt, Leistungen des Schuldners entgegenzunehmen und diese zu quittieren sowie mit Wirkung für den Gläubiger Zahlungsvereinbarungen nach Maßgabe des § 802b zu treffen.
(2) Dem Schuldner und Dritten gegenüber wird der Gerichtsvollzieher zur Vornahme der Zwangsvollstreckung und der in Absatz 1 bezeichneten Handlungen durch den Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung ermächtigt. Der Mangel oder die Beschränkung des Auftrags kann diesen Personen gegenüber von dem Gläubiger nicht geltend gemacht werden.
A. Ratio und Anwendungsbereich.
Rn 1
Die Vorschrift ist durch das ZwVollStrÄndG v 29.7.09 (BGBl I S 2258) neu gefasst worden und zum 1.1.13 in Kraft getreten. Inhaltlich fasst sie §§ 754, 755 aF nunmehr in Abs 1 und 2 zusammen. In Abs 1 nimmt die Regelung das Verhältnis von Gläubiger und GV außerhalb des eigentlichen Vollstreckungsverfahrens in den Blick. Nach § 754 obliegt dem GV im Rahmen seiner Amtsbefugnisse nicht nur die zwangsweise Durchsetzung des Vollstreckungsanspruchs. Er wirkt auch an einer Verständigung zwischen Schuldner und Gläubiger außerhalb der Zwangsvollstreckung mit, in dem er ua auch der legitimierte Empfänger für freiwillige Zahlungen des Schuldners auf die titulierte Forderung ist und mit diesem Zahlungsvereinbarungen nach § 802b treffen kann. Die Vorschrift favorisiert daher eine gütliche Einigung in der Zwangsvollstreckung und bringt damit ein wichtiges Regelungsanliegen des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung zum Ausdruck (BTDrs 16/100069 v 30.7.08, 24; s vor § 704 Rn 23). § 754 ist notwendig, weil sich aus dem Vollstreckungsauftrag allein nur die Befugnis des GV herleiten lässt, Leistungen entgegenzunehmen, die mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung beim Schuldner beigetrieben worden sind, bei Geld also durch Wegnahme nach § 815. Auch bei der Entgegennahme freiwilliger Leistungen und dem Abschluss von Zahlungsvereinbarungen handelt der GV stets hoheitlich (Frankf NJW 63, 773, 774 [OLG Frankfurt am Main 22.11.1962 - 1 Ss 911/62]). Nicht etwa wird er als Vertreter des Gläubigers tätig (Musielak/Lackmann § 754 Rz 2). § 754 ist auf andere Vollstreckungsorgane als den GV nicht übertragbar und regelt nur dessen Rechtsbeziehung zum Gläubiger. Vom Rechtsverhältnis von GV zum Schuldner und Dritten handelt dagegen Abs 2. Die Vorschrift betrifft seine Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Zwangsvollstreckung. Sie gilt nur für die Tätigkeit des GV, nicht für die der anderen Vollstreckungsorgane.
B. Tatbestand des Abs 1.
I. Vollstreckungsauftrag.
Rn 2
Voraussetzung des § 754 ist in formeller Hinsicht ein wirksamer schriftlicher, elektronischer oder mündlicher Vollstreckungsauftrag (s § 753 Rn 5 ff) sowie die Vorlage der vollstreckbaren Ausfertigung nach § 724, die auch elektronisch übermittelt werden kann. Nur soweit eine Klausel ausnahmsweise nicht erforderlich ist (s § 724 Rn 3), ist die Übergabe des Titels ausreichend. Die Befugnisse des GV nach § 754 entfallen mit der Rücknahme des Vollstreckungsauftrags (s § 753 Rn 11). Erfolgt die Rücknahme allerdings nur vorübergehend, berührt das die Kompetenz des GV nach dieser Vorschrift nicht.
II. Befugnisse des GV.
1. Entgegennahme von freiwilligen Zahlungen und Leistungen.
Rn 3
Die Befugnis des GV zur Annahme freiwilliger Leistungen entsteht kraft Gesetzes mit der Erteilung des Vollstreckungsauftrags. Sie besteht unabhängig vom Willen des Gläubigers (MüKoZPO/Heßler § 754 Rz 26) und hat aufgrund ihres hoheitlichen Charakters nicht die Rechtswirkung der §§ 362 ff BGB (BGH NJW 09, 1085 [BGH 29.01.2009 - III ZR 115/08]). Wollte der Gläubiger die Ermächtigung des GV ausschließen, wäre sein Vollstreckungsauftrag unwirksam. Zur Erbringung freiwilliger Zahlungen, nämlich zur Begleichung der Hauptschuld mit Zinsen, Kosten und Vollstreckungskosten, hat der GV den Schuldner einer titulierten Geldschuld ohnehin vor Einleitung der Zwangsvollstreckung nach § 59 II 1 GVGA aufzufordern (Schuschke/Walker/Walker § 754 Rz 4). Nach § 60 I 1 GVGA ist der GV nicht nur gehalten, die vollständige geschuldete Leistung anzunehmen, sondern auch Teilleistungen des Schuldners oder eines Dritten auf die fremde Schuld zu akzeptieren (s aber § 267 II BGB; BGH NJW 81, 2244 [BGH 24.06.1981 - IVa ZR 104/80]), wobei der Schuldner kein Recht zur Tilgungsbestimmung nach § 366 I BGB hat (BGH NJW 99, 1704 [BGH 23.02.1999 - XI ZR 49/98]). Umgekehrt muss er die gesamte Leistung auch dann annehmen, wenn der Gläubiger nur eine Teilvollstreckung beantragt hat (s § 753 Rn 8). Bei der Vollstreckung für eine Mehrzahl von Gläubigern ist der GV nur dann zur Annahme einer Teilleistung des Schuldners berechtigt, wenn dieser mit deren verhältnismäßiger Teilung unter allen Gläubigern einverstanden ist, s § 117 II GVGA.
Rn 4
Grds darf der GV aber keine andere als die geschuldete Leistung an Erfüllungs statt annehmen, wenn dem Schuldner das im Titel nicht bereits zur Abwendung der Vollstreckung nachgelassen ist, § 60 II 1 GVGA (Ausnahme: Bar- und Verrechnungsschecks des Schuldners). Wohl aber muss er die freiwillige Leistung des ...