Rn 16
Im Fall der Haftanordnung kann der Schuldner einen Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung erfolgreich damit begründen, dass mit Vollziehung der Haft eine Versorgung eigener kleiner Kinder unmöglich gemacht wird (St/J/Münzberg Rz 6; MüKoZPO/Heßler Rz 40).
Rn 17
Die vorläufige Einstellung einer Vollstreckungsmaßnahme, welche die wirtschaftliche Existenz des Schuldners vernichten oder ihm das Existenzminimum entziehen würde, kann nur im Ausnahmefall verhältnismäßig sein. Im Hinblick auf spezielle Schutzregeln – Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen gem §§ 850c ff, Einkünfte aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse gem § 851a und für Altersrenten aus steuerlich gefördertem Altersvorsorgevermögen gem §§ 851c und d – stellt sich diese Problematik ohnedies nur in Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn der Schuldner von den Erträgen seines Vermögens lebt und in das Vermögen bzw dessen Erträge vollstreckt wird. Der Umstand, dass der Schuldner bei Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme Sozialhilfe beantragen müsste, wird nicht als ausreichend angesehen (BGHZ 161, 371, 374). Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass private Schulden auch nicht mittelbar mit öffentlichen Geldern getilgt werden dürfen (so aber MüKoZPO/Heßler Rz 36); vielmehr kann es dem Gläubiger nicht zugemutet werden, anstelle der Allgemeinheit den Lebensunterhalt des Schuldners zu finanzieren. Nicht ausreichend für die vorläufige Einstellung einer Vollstreckungsmaßnahme sind auch die mit der eV zwangsläufig etwa eintretenden geschäftlichen Nachteile für den Schuldner (Musielak/Voit/Lackmann Rz 17). So ist der Umstand, dass dem Schuldner im Fall der Abgabe der eV der Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft droht, nicht geeignet, die Annahme einer mit den guten Sitten unvereinbaren Härte iSd § 765a I 1 zu rechtfertigen, es sei denn, die Schuld könne in absehbarer Zeit beglichen werden (BGH NJW 10, 1002, 1003 [BGH 10.12.2009 - I ZB 36/09]). Ratenzahlungsangebote durch den Schuldner reichen ebenfalls nicht aus (Köln NJW-RR 95, 1472; entgegen Ddorf MDR 77, 147). Anders ist es dann, wenn der Schuldner tatsächlich Raten leistet und durch unvorhergesehene Ereignisse, wie plötzliche Krankheit, daran gehindert ist, weitere Raten zu leisten und die Jahresfrist des § 813a einzuhalten (MüKoZPO/Heßler Rz 48; Musielak/Voit/Lackmann Rz 13).
Rn 18
Der Schuldner kann Vollstreckungsschutz nach § 765a beanspruchen, wenn der Gläubiger den dem Schuldner gem § 667 BGB zustehenden Auszahlungsanspruch gegen den Drittschuldner wegen der mit Einverständnis des Schuldners auf ein Konto des Drittschuldners eingehenden, jedoch dem Schuldner zustehenden Sozialleistungen pfändet. Eine entspr Anwendung des § 850k scheidet in derartigen Fällen aus (BGH NJW 07, 2703, 2704 [BGH 04.07.2007 - VII ZB 15/07]; 08, 1678 [BGH 27.03.2008 - VII ZB 32/07]; BVerfG 1 BvR 163/15 v 29.5.15). Dagegen kann von einer sittenwidrigen Härte nicht gesprochen werden, wenn der Gläubiger private Versicherungsrenten des selbstständig oder freiberuflich tätig gewesenen Schuldners pfändet. Die Pfändung von Einkünften, die nicht nach den Bestimmungen der §§ 850 ff unpfändbar sind, begründet keine sittenwidrige Härte iSd § 765a (BGH WM 08, 171, 173 [BGH 15.11.2007 - IX ZB 34/06]). Die Pfändung und Überweisung des Anspruchs auf Auszahlung eines genossenschaftlichen Auseinandersetzungsguthabens stellt auch dann eine unzumutbare Härte iSd § 765a nicht dar, wenn sie unmittelbar zum Verlust der genossenschaftlichen Wohnungsrechte des Schuldners führt und die Möglichkeit besteht, dass er seine derzeitige Wohnung verliert (BGH WM 09, 2280, 2281 [BGH 01.10.2009 - VII ZB 41/08]).
Rn 19
Vollstreckungsschutz nach § 765a kann weiter iRe Zwangsversteigerung erfolgversprechend beantragt werden (BGH NZM 20, 476 [BGH 07.11.2019 - V ZB 135/18] Rz 7; WuM 20, 364 Rz 5). Bereits die Gefahr des Eigentumsverlustes, verbunden mit konkreter Gefahr für das Leben des Schuldners oder eines nahen Angehörigen, reicht aus (BGH WuM 20, 364 Rz 5; NJW-RR 20, 1141 Rz 11). Besteht die konkrete Gefahr einer Selbsttötung des Schuldners ist auch der erst nach der Erteilung des Zuschlags gestellte Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a beachtlich; ein rechtskräftiger Zuschlagsbeschluss kann jedoch nicht mehr nach § 765a aufgehoben werden (BGH WuM 09, 679 [BGH 01.10.2009 - V ZB 37/09]; NJW-RR 11, 1000 [BGH 17.02.2011 - V ZB 205/10]). In absoluten Ausnahmefällen kann die Einstellung eines Zwangsversteigerungsverfahrens wegen Suizidgefahr unbefristet oder ohne Auflagen erfolgen; in diesem Fall ist der Zuschlag zu versagen (BGH WuM 20, 364 Rz 5). Auch in diesem Rahmen ist zu prüfen, ob der Gefahr der Selbstötung nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann (BGH NJW-RR 15, 393, 394 [BGH 12.11.2014 - V ZB 99/14]; WuM 20, 364 [BGH 20.02.2020 - V ZB 17/19] Rz 5). Das Vollstreckungsgericht hat sicherzustellen, dass sich die Suizidgefahr nicht verwirklicht, wenn der Beteil...