Gesetzestext
(1) 1Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. 2Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen. 3Betrifft die Maßnahme ein Tier, so hat das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen.
(2) Eine Maßnahme zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, jedoch nicht länger als eine Woche, aufschieben, wenn ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 glaubhaft gemacht werden und dem Schuldner die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.
(3) In Räumungssachen ist der Antrag nach Absatz 1 spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, dass die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind oder der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.
(4) Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf Antrag auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.
(5) Die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln erfolgt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und des Absatzes 4 erst nach Rechtskraft des Beschlusses.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 765a greift in den Fällen ein, in denen eine Vollstreckungsmaßnahme wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht mehr vereinbar ist. Diese Vorschrift stellt eine Ausnahmeregelung dar, die eng auszulegen ist (BGHZ 44, 138, 143; 161, 371, 374; WM 19, 686, 687, 668 mwN). Es handelt sich hier um eine allg Schutzvorschrift, die auch als ›Generalklausel des Schuldnerschutzes‹ bezeichnet wird (Musielak/Voit/Lackmann Rz 1). Mit der Zwangsvollstreckung regelmäßig verbundene Nachteile rechtfertigen die Anwendung des § 765a nicht. Nur bei einem völlig untragbaren Ergebnis soll dem Schuldner die Möglichkeit gegeben werden, die Einstellung oder Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme zu erreichen; § 765a betrifft nur die konkrete Vollstreckungsmaßnahme, nicht die Zwangsvollstreckung aus dem Titel überhaupt (BGH NJW 04, 3635, 3636 [BGH 25.06.2004 - IXa ZB 267/03]).
B. Anwendungsbereich, Abgrenzung.
I. Anwendbarkeit.
Rn 2
Die Zwangsvollstreckung darf nicht insgesamt untersagt werden. § 765a ermöglicht es somit nicht, die Bindung der Vollstreckungsorgane an den Titel überhaupt zu beseitigen. Einwendungen gegen den titulierten Anspruch sind im Weg der Nichtigkeits- u Restitutionsklage nach §§ 579, 580, der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 und – bei erschlichenem bzw als unrichtig erkanntem Urt – durch Klage auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung und auf Herausgabe des Titels nach Deliktsgrundsätzen (vgl § 767 Rn 13) geltend zu machen.
Rn 3
§ 765a gilt für sämtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, so auch die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen (BGH NJW 06, 505, 506 [BGH 24.11.2005 - V ZB 99/05]). Die Vorschrift gilt auch für Vollstreckungsmaßnahmen, die das Prozessgericht zur Erzwingung vertretbarer oder unvertretbarer Handlungen gem §§ 887, 888 oder der Unterlassung oder Duldung der Vornahme einer Handlung gem § 890 erlässt.
Rn 4
§ 4 InsO verweist auf die zivilprozessualen Vorschriften. Nach der Rspr des BGH ist auch im eröffneten Insolvenzverfahren Vollstreckungsschutz nach § 765a zu gewähren; § 765a ist jedenfalls auf Vollstreckungsmaßnahmen anzuwenden, die der Verwalter gem § 148 II InsO aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses gegen den Insolvenzschuldner, der eine natürliche Person ist, betreibt. Die Anwendbarkeit des § 765a ist für den Fall bejaht worden, dass Rechte des Schuldners in insolvenzuntypischer Weise schwerwiegend beeinträchtigt werden; der Schuldner muss dann die Möglichkeit haben, gem § 765a Maßnahmen abzuwehren, die auch unter den ganz besonderen Umständen des Insolvenzverfahrens nicht hinnehmbar sind (BGH WM 19, 686, 687, 688 [BGH 21.02.2019 - IX ZB 7/17]). Ein auf die Suizidgefährdung des Schuldners oder naher Angehöriger gestützter Vollstreckungsschutzantrag im Insolvenzverfahren ist daher zulässig (BGH NJW 09, 78, 79 [BGH 16.10.2008 - IX ZB 77/08]; WM 09, 358, 359 [BGH 18.12.2008 - V ZB 57/08]; WuM 09, 314, 315 [BGH 12.03.2009 - V ZB 155/08]).
Rn 5
Bei der Zwangsversteigerung zur Aufhebung einer Gemeinschaft gilt § 765a entspr (BGH NJW 07, 3430, 3431, 3432 [BGH 22.03.2007 - V ZB 152/06] mwN; abl MüKoZPO/Heßler Rz 18; Schuschke/Walker/Walker Rz 5). Ein rechtskräftiger Zuschlagbeschluss kann nicht nach § 765a aufgehoben werden (BGH MDR 10, 50, 51 [BGH 01.10.2009 - V ZB 37/09]).
II. Subsidiarität.
Rn 6
Nur ganz besondere Umstände rechtfertigen eine Maßnahme gem § 765a I 1. § 765a erweist sich damit als subsidiär; die Gewährung von Vollstreckungsschutz kommt nach § 765a...