Gesetzestext
(1) Insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(2) Gegen den Beschluss, durch den die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt wird, findet die sofortige Beschwerde statt.
A. Allgemeines.
Rn 1
Die Vorschrift bezweckt die Sicherstellung gleicher Chancen bei der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung und soll verhindern, dass eine Partei nur deshalb keinen Rechtsschutz erhält, weil sie keinen zu ihrer Vertretung bereiten Anwalt findet (BVerfG NJW 79, 2117 [BVerwG 14.05.1979 - BVerwG 7 ER 400.79]). Die Anwendung ist daher auf Verfahren mit Anwaltszwang beschränkt und gilt nicht im Parteiprozess (BGH MDR 89, 257). Besteht Anwaltszwang nur für einzelne Verfahrensabschnitte oder Prozesshandlungen, darf eine Beiordnung nur in diesem Umfang erfolgen. Eine Beiordnung eines Anwalts im PKH-Verfahren erfolgt ausschließlich nach § 121. Die Vorschrift ist auch in Ehesachen und Familienstreitsachen (§ 112 FamFG) anwendbar (§ 113 I FamFG). Nach Sinn und Zweck der Vorschrift scheidet die Bestellung eines Notanwalts aus, wenn eine Vertretung allein an der Nichtzahlung des Vorschusses scheiterte, denn auch die Bestellung würde an der Verpflichtung zur Vorschusszahlung nichts ändern (BGH Beschl v 8.7.10 – IX ZB 45/10).
B. Antrag.
Rn 2
Erforderlich ist ein Antrag der Partei. Für den Antrag besteht kein Anwaltszwang, er bedarf keiner besonderen Form und kann sowohl schriftlich als auch zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 129a) gestellt werden. Im Antrag sind sämtliche Voraussetzungen für eine Beiordnung darzulegen und nachzuweisen (BGH NJW-RR 04, 864; NJW 14, 3247) und dazu die Bemühungen konkret unter Namensnennung vorzutragen (BGH NJW-RR 95, 1016) und die Ablehnungsgründe anzugeben und zu belegen (BGH NJW-RR 04, 864). Zu richten ist der Antrag, für den kein Anwaltszwang besteht (auf ihren Antrag), an das Prozessgericht.
C. Anwaltssuche.
Rn 3
Die Partei muss trotz zumutbarer Anstrengungen keinen zu ihrer Vertretung bereiten Anwalt gefunden haben. Welche Bemühungen erforderlich sind, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Wenngleich die Anforderungen im Hinblick auf den Zweck der Regelung nicht überspannt werden dürfen, ist es notwendig, dass die Partei bei einer angemessenen Anzahl von Anwälten nachgefragt hat (BVerwG NVwZ-RR 00, 59 [BVerwG 28.07.1999 - BVerwG 9 B 333/99]). Im Verfahren der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde ist eine Anfrage bei mindestens 4 Anwälten erforderlich (BGH MDR 00, 412; NJW-RR 04, 864 für die Revision; Beschl v 25.1.07 – IX ZR 186/06, Rz 2; Beschl v 16.10.08 – IX ZR 146/08, Tz 3: mehr als 4; Beschl v 28.6.10 – IX ZA 26/10: mindestens 5; ebenso BSG Beschl v 27.11.15 – B 9 V 51/15 B, Rz 8). Setzt man die Nachfrage bei 4 Anwälten ins Verhältnis zu der geringen Anzahl an BGH-Anwälten und überträgt diesen Maßstab auf den Zivilprozess 1. und 2. Instanz, dürfte angesichts der großen Zahl allgemein zugelassener Rechtsanwälte eine Anfrage bei mindestens 10 zu fordern sein (so auch München OLGR 93, 186; OVG Lüneburg NJW 05, 3303, 3304: Anfrage bei nur 6 Anwälten nicht ausreichend). Allenfalls in einer Region mit besonders niedriger Anwaltsdichte kann eine geringere Anzahl an Anfragen genügen, wobei zu beachten ist, dass sich die Partei bei der Anwaltssuche nicht auf den Wohnort beschränken darf und eine Suche in einem Umkreis von ca 20–30 km regelmäßig zumutbar sein dürfte. Eine Nachfrage bei sämtlichen am Wohnort oder am Sitz des Gerichts zugelassenen Anwälten ist wegen deren großer Zahl idR nicht notwendig (VGH BW NVwZ-RR 99, 280). Einer geschäftsgewandten Partei ist zuzumuten, sich auch in einer weiter entfernten größeren Stadt um einen Anwalt zu bemühen (OVG Lüneburg NJW 05, 3303, 3304 [OVG Niedersachsen 22.08.2005 - 2 LA 383/05]). Ist die Sache eilbedürftig, können im Einzelfall geringere Anforderungen an die Anwaltssuche gestellt werden.
Rn 4
Die Partei darf sich bei ihrer Suche bis zur Grenze der Unzumutbarkeit nicht auf ihr genehme Anwälte (St/J/Jacoby § 78b Rz 6) oder allein auf Fachanwälte beschränken (OVG Münster NJW 03, 2624, 2625; OVG Lüneburg NJW 05, 3303, 3304 [OVG Niedersachsen 22.08.2005 - 2 LA 383/05]). Die Mandatsübernahme darf nicht an der fehlenden Bereitschaft zur Zahlung eines Vorschusses (arg § 78c II; BGH Beschl v 5.7.17 – VII ZR 88/14 Rz 6; MDR 00, 412) oder an der nicht rechtzeitigen Zahlung scheitern (BGH Beschl v 8.9.11 – III ZR 89/11). Ebensowenig kommt eine Bestellung in Betracht, wenn die Übernahme des Mandats daran scheitert, dass die Partei kein Honorar zahlen will, das über den sich aus der maßgeblichen Gebührenordnung ergebenden Gebühren liegt (BFH Beschl v 19.1.04 – X S 19/03 [NV]; OVG Münster NJW 03, 2624 [OVG Nordrhein-Westfalen 05.06.2003 - 9 A 2240/03]). Dies gilt jedenfal...