Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich
Gesetzestext
(1) Die Vollziehung des Haftbefehls ist unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Haftbefehl erlassen wurde, zwei Jahre vergangen sind.
(2) Gegen einen Schuldner, dessen Gesundheit durch die Vollstreckung der Haft einer nahen und erheblichen Gefahr ausgesetzt würde, darf, solange dieser Zustand dauert, die Haft nicht vollstreckt werden.
A. Bedeutung und Normzweck.
Rn 1
Die Norm regelt bestimmte Fälle der Unzulässigkeit der Haftvollstreckung. Dabei wurden inhaltlich die §§ 906 und 909 II aF im Wesentlichen übernommen. Eine Abweichung besteht aber bei der Länge der Wirksamkeit des Haftbefehls.
B. Wirkungsdauer des Haftbefehls (Abs 1).
Rn 2
Der Haftbefehl hat eine Wirkungsdauer von zwei Jahren. Wurde bis dahin kein Antrag auf Verhaftung des Schuldners gestellt, ist seine Vollziehung unstatthaft. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Gläubiger die Verhaftung beantragen (Modul I Formular nach § 1 Nr 1 GVFV, s § 802a Rn 4). Entscheidend ist entgegen des Wortlauts die Antragstellung vor Fristablauf, wohingegen die Vollziehung des Haftbefehls dann auch nach Fristablauf erfolgen kann (AG Stuttgart DGVZ 15, 23; Zö/Seibel § 802h Rz 2; BeckOKZPO/Fleck § 802h Rz 1; so bereits zur alten Rechtslage BGH DGVZ 06, 55; aA AG Wiesbaden DGVZ 19, 157; B/L/H/A/G/Nober § 802h Rz 4). Scheitert ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Vollziehung des Haftbefehls an der Unauffindbarkeit des Schuldners und stellt der Gerichtsvollzieher die Vollstreckung deswegen ein, so kann sich der Gläubiger bei der Stellung eines erneuten, die 2-Jahres-Frist nicht wahrenden Antrags, nicht auf die Rechtzeitigkeit des ersten Antrags berufen (LG Osnabrück v 29.6.20 – 2 T 228/20).
Die Zwei-Jahres-Frist gilt für alle Vollstreckungsanträge, die nach dem 1.1.13 beim Gerichtsvollzieher eingehen (§ 39 Nr 1 EGZPO, s § 802a Rn 2); auch wenn der Haftbefehl noch nach alter Rechtslage (Drei-Jahres-Frist, § 909 II aF) erlassen wurde (AG Mannheim DGVZ 13, 137).
C. Gesundheitsgefahr (Abs 2).
Rn 3
An die Voraussetzung ›Gefährdung der Gesundheit des Schuldners‹ sind strenge Maßstäbe anzulegen (BTDrs 16/10069, 28), weil der Schuldner die Haft jederzeit durch Abgabe der eidesstattlichen Versicherung abwenden kann. Die Haftfähigkeit prüft der Gerichtsvollzieher vAw nach eigenem Kenntnisstand. Ist die Haftunfähigkeit nicht offensichtlich, muss der Schuldner ein konkretes und nachvollziehbares ärztliches Attest beibringen; eines amtsärztlichen Attestes bedarf es in der Regel nicht, es sei denn, dem Privatarzt steht die Bedeutung der Haft nicht hinreichend vor Augen (vgl zuletzt AG Augsburg DGVZ 12, 144). Der Gläubiger kann eine amtsärztliche Untersuchung nicht beantragen (AG Augsburg DGVZ 12, 144), das Vollstreckungsgericht kann sie aber anordnen.
D. Rechtsbehelfe.
Rn 4
Gläubiger und Schuldner können sich gegen den Haftaufschub bzw den nicht gewährten Haftaufschub mit der Vollstreckungserinnerung (§ 766) wehren.