Gesetzestext
(1) 1Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. 2Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
A. Normzweck.
Rn 1
Entsprechend der Vorschrift des § 164 BGB bestimmt die Norm, dass die Prozesshandlungen des Bevollmächtigten der vertretenen Partei zugerechnet werden und diese binden. Hinzu kommt eine besondere prozessuale Zurechnungsnorm in Abs 2, die sicherstellen soll, dass die Partei in jedem Fall so behandelt wird, als hätte sie den Prozess selbst geführt. Die Einschaltung eines Prozessvertreters soll nicht zu einer Verschiebung des Prozessrisikos zu Lasten des Gegners führen, indem es der Partei untersagt ist, durch die Berufung auf Vertreterverschulden die für sie nachteiligen Folgen der Fehler ihres Bevollmächtigten abzuwenden (BGH NJW 76, 1218; FamRZ 93, 308; Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 1, 2; Zö/Althammer § 85 Rz 1, 2). Die Vorschrift ist auch in Statussachen verfassungskonform (BVerfG NJW 73, 1315; 82, 2324, 2325 [BGH 10.11.1981 - VIII ZR 315/80]; 90, 1104 [BVerfG 29.11.1989 - 1 BvR 1011/88]; BGH NJW-RR 93, 131 [BGH 14.10.1992 - IV ZR 211/91]). Nach §§ 112, 113 I FamFG findet die Vorschrift auch in Ehesachen und Familienstreitsachen Anwendung. Für die übrigen Verfahren nach dem FamFG verweist § 11 S 5 FamFG auf § 85.
B. Umfang der Vertretung.
I. Prozesshandlungen.
Rn 2
Nach dem Wortlaut von Abs 1 S 2 werden der Partei die Prozesshandlungen zugerechnet. Darunter sind alle Maßnahmen und Handlungen des Prozessbevollmächtigten zu verstehen, die dieser in Wahrnehmung seiner Befugnisse aus der Prozessvollmacht vornimmt oder unterlässt (MüKoZPO/Toussaint § 85 Rz 1, 3). Umfasst ist daher auch die Entgegennahme von Prozesshandlungen des Gerichts, des Gegners oder sonstiger Verfahrensbeteiligter insb auch die Entgegennahme von Zustellungen (Ausnahme § 141 II 2). Die Vorschrift gilt auch im Parteiprozess (Zö/Althammer § 85 Rz 5). Die Bindung der Partei an materiell-rechtliche Erklärungen des Bevollmächtigten ergibt sich aus der Prozessvollmacht, soweit diese auch solche Erklärungen deckt (§ 81 Rn 6), und richtet sich nach materiellem Recht (Musielak/Weth § 85 Rz 4). An Rechtsausführungen ihres Bevollmächtigten ist die Partei nicht gebunden, diese können von ihr jederzeit widerrufen oder berichtigt werden (allgM Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 3; Zö/Althammer § 85 Rz 1).
II. Wirkungen.
Rn 3
Die Wirkungen nach Abs 1 S 1 sind umfassend und verpflichten die Partei so, als hätte sie die Handlung selbst vorgenommen. Über den Wortlaut hinaus gilt dies auch für Handlungen, die die Partei berechtigen (Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 4). Ohne Bedeutung ist, ob im Innenverhältnis der Bevollmächtigte seine Befugnis überschreitet, solange die Handlung im Außenverhältnis durch die Prozessvollmacht gedeckt ist (BGH VersR 88, 526, 527). Deshalb findet eine Zurechnung auch dann statt, wenn der Bevollmächtigte gegen ausdrückliche Weisungen des Vertretenen verstoßen hat. Eine Ausnahme kommt bei einem kollusiven Zusammenwirken mit dem Prozessgegner (Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 4) sowie dann in Betracht, wenn die Handlung zum wirklichen Willen der Partei in Widerspruch steht und der Irrtum des Bevollmächtigten für Gericht und Gegner offensichtlich ist (BGH VersR 77, 574; 88, 526, 527).
III. Widerruf und Berichtigung.
1. Allgemeines.
Rn 4
Die Partei kann auch im Anwaltsprozess (§ 137 IV) Geständnisse (§ 288) und andere tatsächliche Erklärungen einschließlich der Stellungnahmen zu solchen des Gegners (§ 138 I–IV) ihres Bevollmächtigten widerrufen und berichtigen (Abs 1 S 2). Insoweit gelten die Beschränkungen für den Widerruf des Geständnisses (§ 290) nicht. Die Partei kann auch Tatsachen zugestehen, die ihr Bevollmächtigter bestritten hat (Zö/Althammer § 85 Rz 9). Macht die im Termin anwesende Partei von dieser Möglichkeit Gebrauch und widerspricht der Sachdarstellung ihres Bevollmächtigten, gilt im Parteiprozess aufgrund ihrer besseren Kenntnisse des tatsächlichen Geschehens nur ihre Erklärung (allgM Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 5; Zö/Althammer § 85 Rz 7). Im Anwaltsprozess muss das Gericht versuchen, den Widerspruch zwischen den Erklärungen des Prozessbevollmächtigten und der Partei aufzuklären und ggf die widerstreitenden Erklärungen nach § 286 würdigen, wobei in der Regel der Version der Partei der Vorzug zu geben sein dürfte, da diese das Geschehen unmittelbar erlebt hat (Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 4; Zö/Althammer § 85 Rz 8). An andere Erklärungen ihres Bevollmächtigten ist die Partei im Anwaltsprozess gebunden, sie kann ihnen weder entgegentreten noch sie durch eigene Erklärungen ersetzen. Dies gilt insb für einen Vergleich, einen Verzicht oder ein Anerkenntnis, da diese Erklärungen über rein tatsächliche Äußerungen hinausgehen und rechtliche Wirkungen bezogen auf den Streitgegenstand entfalten (St/J/Jacoby § 85 Rz 6; Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 5). Insoweit ...