Gesetzestext
(1) Arbeitseinkommen, das in Geld zahlbar ist, kann nur nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i gepfändet werden.
(2) Arbeitseinkommen im Sinne dieser Vorschrift sind die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten, Arbeits- und Dienstlöhne, Ruhegelder und ähnliche nach dem einstweiligen oder dauernden Ausscheiden aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährte fortlaufende Einkünfte, ferner Hinterbliebenenbezüge sowie sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen.
(3) Arbeitseinkommen sind auch die folgenden Bezüge, soweit sie in Geld zahlbar sind:
a) |
Bezüge, die ein Arbeitnehmer zum Ausgleich für Wettbewerbsbeschränkungen für die Zeit nach Beendigung seines Dienstverhältnisses beanspruchen kann; |
b) |
Renten, die auf Grund von Versicherungsverträgen gewährt werden, wenn diese Verträge zur Versorgung des Versicherungsnehmers oder seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen eingegangen sind. |
(4) Die Pfändung des in Geld zahlbaren Arbeitseinkommens erfasst alle Vergütungen, die dem Schuldner aus der Arbeits- oder Dienstleistung zustehen, ohne Rücksicht auf ihre Benennung oder Berechnungsart.
A. Normzweck.
Rn 1
Die Vorschrift dient prinzipiengestaltenden und definitorischen Zwecken. Als systembildende Grundlagennorm schränkt Abs 1 die Pfändung in das Arbeitseinkommen nach Maßgabe der §§ 850a – 850i ein. Bei der Zwangsvollstreckung dient der Staat nicht allein den Interessen des Gläubigers. Er muss auch die Belange des Schuldners wahren und die sozialen sowie gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Zwangsvollstreckung berücksichtigen (BGHZ 70, 206, 210f). Da das Arbeitseinkommen vielfach die wichtigste, wenn nicht sogar die einzige Grundlage der Existenzsicherung des Schuldners darstellt, sind bei der Pfändung dieser Einkünfte die detailliertesten und umfassendsten Schutzbestimmungen normiert. Vorrangig trägt § 850 der Achtung vor der Person des Schuldners und damit der Garantie der Menschenwürde (BGH NZI 17, 931 Tz 17) Rechnung, um ihm einen autonomen Lebensraum zu gewährleisten. § 850 sichert dem Schuldner einen der Pfändung entzogenen Anteil an Vergütungen für unselbständige wie selbständige Dienstleistungen, die seine Existenzgrundlage bilden (BGH NJW 06, 2485 [BGH 11.05.2006 - IX ZR 247/03] Rz 22; NJW-RR 17, 161 [BGH 16.11.2016 - VII ZB 52/15] Tz 14). Im Basisbereich des notwendigen Lebensunterhalts sichert das Grundrecht auf Schutz des Existenzminimums (BVerfG NJW 10, 505 Rz 133; 14, 3425 Rz 74; 19, 3703 Tz 117 ff) einen unantastbaren Sockel. Auch der weitergehende Schutz des Schuldners ist verfassungsrechtlich grundiert. Aus seinem Arbeitseinkommen und den gleichgestellten Einkünften wird dem Schuldner so viel belassen, um seinen Lebensunterhalt auf einfachem, aber angemessenem Niveau bestreiten zu können. Der Schutz des Existenzminimums ist insb durch die §§ 850c, 850k IV sowie § 54 IV SGB I verfassungskonform ausgestaltet (BGH NJW-RR 18, 570 [BGH 24.01.2018 - VII ZB 21/17] Tz 14). Wie der Umkehrschluss aus § 850f I belegt, soll dem Schuldner aus seinem Arbeitseinkommen regelmäßig mehr als das Existenzminimum verbleiben. Neben der vermögensrechtlichen Schutzaufgabe beinhaltet § 850 damit eine substanziell freiheitsgewährleistende Dimension, die grundrechtlichen Schutz genießt. Zugleich wird dem Schuldner damit ein ökonomischer Anreiz gesetzt, sich um eine entgeltliche Tätigkeit (BGHZ 161, 371, 375) und damit letztlich um eine Schuldentilgung zu bemühen. Zudem kann sich auch der Schuldner auf einen Schutz seiner Rechte durch Art 14 GG berufen. Der Schuldner wird mitnichten durch die Gläubiger subventioniert, sondern in seinen selbst erworbenen Rechten geschützt. Im Einzelfall ist daneben eine Anwendung von § 765a zulässig (LG Essen JurBüro 14, 436; Wieczorek/Schütze/Lüke § 850 Rz 15). Wegen der umfassenden Lohnpfändungsschranken kommt eine sittenwidrige Härte allerdings nur ausnahmsweise in Betracht (BGH NZI 17, 931 [BGH 19.10.2017 - IX ZB 100/16] Tz 11).
Rn 2
Zusätzlich dient die Regelung öffentlichen Zwecken und limitiert als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips die vollstreckungsrechtlichen Wirkungen (BGHZ 141, 173, 177; BGH NZI 17, 931 Tz 16; BAG NJW 17, 3675 Rz 40). Der Schuldner soll dadurch nicht trotz eigener Einkünfte die Sozialsysteme in Anspruch nehmen müssen, der Gläubiger nicht sein materielles Forderungsrecht zulasten der öffentlichen Träger der Daseinsfürsorge verwirklichen können. Zugleich liegt damit der Schuldnerschutz aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse (St/J/Würdinger § 850 Rz 1), um ein sozialstaatskonformes Schutzniveau zu gewährleisten und eine Gläubigerbefriedigung zulasten der öffentlichen Kassen auszuschließen. Ein Verzicht des Schuldners auf den Schutz durch die §§ 850 ff ist ebenso wie eine vertragliche Abbedingung ausgeschlossen (MüKoZPO/Smid § 850 Rz 3; Musielak/Voit/Becker § 850 Rz 1; kein vorheriger Verzicht: BGH ZInsO 15, 1739 Rz 10 = EWiR 15, 611 mAnm Ahrens). Den grundrechtlichen Gewähr...