Rn 39
Aufgrund der engen Zielsetzung von § 850f II, die auf die besondere Verantwortung für vorsätzliche Delikte abstellt, muss der Schuldner den Tatbestand einer unerlaubten Handlung iSd §§ 823 ff BGB verwirklicht haben. Privilegiert sind deswegen Ansprüche aus der vorsätzlichen Verletzung eines absolut geschützten Rechts oder Rechtsguts bzw Schutzgesetzes, §§ 823 I, II, 826 BGB. Erfasst werden auch Ansprüche aus den §§ 97 UrhG, 139 PatG (Musielak/Voit/Flockenhaus § 850f Rz 9). Es genügt allerdings nicht, wenn eine vorsätzliche Handlung adäquat kausal einen Schaden herbeigeführt hat. Zusätzlich muss auch die Schadensfolge vom Vorsatz umfasst sein. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen ein Schutzgesetz begründet deswegen noch nicht das Vollstreckungsprivileg, falls der Vorsatz allein auf die Übertretung des Verbots oder die Nichtbefolgung des Gebots gerichtet ist, die Schädigung jedoch allein fahrlässig verursacht wurde (vgl BGH NZI 07, 532 Rz 10, 15). Wie zu § 302 Nr 1 InsO entschieden, begründet die Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination des § 315c I Nr 1 lit a, III Nr 1 StGB kein erweitertes Zugriffsrecht (vgl BGH NZI 07, 532 [BGH 21.06.2007 - IX ZR 29/06] Rz 10).
Rn 40
Subjektiv wird vorsätzliches Handeln verlangt. Grobe Fahrlässigkeit reicht nicht aus (MüKoZPO/Smid § 850f Rz 16). Der Vorsatz ist also nach den materiell-rechtlichen Kriterien zu bestimmen. Wie zumeist genügt auch hier dolus eventualis (vgl MüKoBGB/Grundmann § 276 Rz 154), der sich nach der gesetzlichen Formulierung einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung auf den Haftungs- bzw den Unrechtstatbestand beziehen muss (vgl Deutsch/Ahrens Deliktsrecht, Rz 117). Der Vorsatz muss sich grds nicht auf die Schadensfolge beziehen, denn es soll gerade nicht eine ausnahmsweise fortbestehende Haftung legitimiert, sondern ein Haftungsanspruch erleichtert durchgesetzt werden. Selbst bei dem weit zu ziehenden Kreis der vorsätzlich begangenen Schutzgesetze gem § 823 II BGB fällt die fahrlässig herbeigeführte Schadensfolge unter die Privilegierung des Abs 2. Anders zu beurteilen sind nur die Normen, nach deren Tatbestand der Vorsatz die Schädigungsfolge umfassen muss, wie die §§ 826 BGB, 86 III VVG (zur Vorgängervorschrift des § 67 II VVG aF BGH NJW 62, 41, 42 [BGH 02.11.1961 - II ZR 237/59]; BGH VersR 86, 233, 235 [BGH 08.10.1985 - VI ZR 138/84]), die §§ 104 f SGB VII sowie § 116 VI SGB X (Zweibr NJW-RR 87, 1174f). Als relativer Begriff (Deutsch/Ahrens Deliktsrecht, Rz 117) entzieht sich der Vorsatz folglich einer einheitlichen Festlegung. Eine besondere Fragestellung ist, ob der Schuldner persönlich vorsätzlich gehandelt haben muss. Dies wird oft verneint, weswegen auch gegenüber dem unbeschränkt haftenden Erben des Schuldners oder eines Schuldübernehmers die Privilegierung bestehen soll (MüKo/Smid § 850f Rz 15; St/J/Würdinger § 850f Rz 11; Stöber/Rellermeyer C.458). Dies überzeugt nicht. Die Privilegierung trägt gleichermaßen dem besonderen Schutzbedürfnis des Gläubigers wie der erhöhten Verantwortlichkeit des Schuldners Rechnung. An Letzterem fehlt es aber bei einer Rechtsnachfolge oder einem Schuldbeitritt.
Rn 41
Bei einem gesetzlichen Forderungsübergang auf einen Dritten, etwa den Versicherer nach § 86 VVG oder den Sozialversicherungsträger gem § 116 SGB X, bleiben die Rechte und Lasten aus der Privilegierung bestehen. Der den erweiterten Zugriff legitimierende besondere Unrechtsgehalt der Tat wirkt auch nach der Umwandlung des Ersatzanspruchs in eine Regressforderung fort (BGH NJW 10, 2353 [BGH 11.05.2010 - IX ZB 163/09] Rz 6, zu § 302 Nr 1 InsO; MüKo/Smid § 850f Rz 15; St/J/Würdinger § 850f Rz 11). Dies unterscheidet die erweiterte Vollstreckung aus § 850f II von der gem § 850d. Dort entfällt regelmäßig mit einem Forderungsübergang der gesetzgeberische Grund für die Bevorrechtigung (§ 850d Rn 7 ff). Dessen Ziel ist es, die in ihrer Existenz von den Zahlungen des Schuldners abhängenden Gläubiger nicht auf die Sozialfürsorge zu verweisen (BGH Rpfleger 05, 676, 677 [BGH 05.07.2005 - VII ZB 11/05]).
Rn 42
Wichtige Schutzgesetze iSd § 823 II BGB, die bei der gebotenen typisierenden Betrachtung einen höheren Unrechtsgehalt im Hinblick auf die Schadensfolge aufweisen, bilden etwa die Verletzung der Unterhaltspflicht gem § 170 StGB (BGHZ 30, 162, 172; BGH NJW 74, 1868), der Raub mit Todesfolge nach § 251 StGB (BGH NZI 07, 532 Rz 19) und der Betrug nach § 263 StGB (BGHZ 57, 137, 138), wobei Tathandlung iSd Betrugstatbestands bei einem Vertragsschluss auch die Täuschung über die unzureichende Leistungsfähigkeit des Schuldners sein kann (LK/Lackner StGB § 263 Rz 214; s.a. OLG Braunschweig NJW 59, 2175, 2176). Für einen Eingehungsbetrug wird eine Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht durch eine ein Jahr später abgegebene eidesstattliche Versicherung belegt (AG Neukölln ZVI 09, 85, 86).
Rn 43
Nicht privilegiert und damit nicht zur erweiterten Vollstreckung berechtigend sind Ansprüche aus Vertragsverletzungen, Gefährdungshaftungstatbeständen (vg...