Rn 30
Der pfändungsfreie Betrag darf nur erhöht werden, wenn sonst eine Unterdeckung für den Lebensunterhalt besteht oder besondere Bedürfnisse des Schuldners bzw besondere Unterhaltspflichten dies erfordern und dem keine überwiegenden Belange des Gläubigers entgegenstehen. Hierfür ist eine differenzierende Beurteilung erforderlich. Abzustellen ist einerseits darauf, welche Qualität die Bedürfnisse des Schuldners besitzen, und andererseits, welches Gewicht den Belangen des Gläubigers beizumessen ist. In der Hierarchie der Bedürfnisse gehen die Anforderungen aus lit a denen der lit b und lit c vor. Dementsprechend bezieht sich das Kriterium der Erforderlichkeit sprachlich und sachlich nur auf die letzten beiden Regelungen. Das Unterschreiten des notwendigen Unterhalts stellt für den Schuldner bereits eine derart gravierende Benachteiligung dar, dass insoweit keine zusätzlichen Anforderungen existieren (anders St/J/Würdinger § 850f Rz 6; MüKoZPO/Smid § 850f Rz 9). So steht die Sicherung des notwendigen Unterhalts des Schuldners an höchster Stelle. Es folgen der notwendige Unterhalt der gesetzlich Unterhaltsberechtigten, der besondere Umfang der Unterhaltslasten, der notwendige Unterhalt anderer unterhaltsberechtigter Personen und schließlich die sonstigen besonderen Bedürfnisse des Schuldners. Wie der BGH iRd Abwägung nach § 850c IV ausgesprochen hat, ist Kindergeld als eine dem Ausgleich der aus dem Familienunterhalt folgenden Belastungen dienende Leistung nicht zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 06, 568 [BGH 04.10.2005 - VII ZB 24/05]).
Rn 31
Als wichtigster Belang des Gläubigers ist zunächst zu beachten, inwieweit der Gläubiger auf die Vollstreckung angewiesen ist, um selbst nicht Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu müssen. Es folgt seine sonstige wirtschaftliche und persönliche Situation, wie etwa seine Unterhaltslasten, sowie die Aussicht, überhaupt für seine Titelforderung Befriedigung erlangen zu können. Nicht zu berücksichtigen ist die Art der zu vollstreckenden Forderung. Auf deren Qualität wird bei der erweiterten Vollstreckung abgestellt und kann insoweit auch nach § 850f I berücksichtigt werden. Die abschließende Regelung über die bevorrechtigte Pfändung schließt es aus, zusätzliche Unterscheidungen nach der Forderungsqualität zu treffen.
Rn 32
Erforderlich ist eine umfassende Abwägung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls zwischen Schuldnerbedürfnissen und Gläubigerbelangen. Eine Erhöhung der pfändungsfreien Beträge ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Belange des Gläubigers überwiegen. Muss der notwendige Unterhalt des Schuldners gesichert werden, kann der Gläubiger dem höchstens seinen eigenen notwendigen Unterhalt entgegensetzen. Da beide Unterhaltsbedarfe grds gleichrangig sind, können grds keine überwiegenden Belange des Gläubigers bestehen. Etwas anderes kommt allenfalls bei einer Gefährdung höchster Rechte in Betracht, wie Leben und Gesundheit. Um den notwendigen Unterhalt des Schuldners zu sichern, können aber vertragliche Unterhaltspflichten des Schuldners zurückzustellen sein. Das Verhältnis zwischen vor- und nachrangigen Unterhaltsgläubigern ist schon in § 850d II gelöst.
Rn 33
Unerheblich ist, ob der Gläubiger bei der Pfändung leer ausgeht. Im Ergebnis darf deswegen auch das gesamte Einkommen des Schuldners für unpfändbar erklärt werden (Zweibr NJW-RR 02, 1664, 1665 [OLG Zweibrücken 14.02.2002 - 3 W 6/02]; LG Duisburg Rpfleger 98, 355; aA Koblenz JurBüro 87, 306; MüKoZPO/Smid § 850f Rz 14). Der Wortlaut von § 850f I steht dem nicht entgegen. Wenn nach § 850c bei einem Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze eine Forderungsdurchsetzung ausgeschlossen ist, dann muss dies umso mehr bei einer verfassungsrechtlich besonders geschützten Position des Schuldners gelten. Je länger der Gläubiger vollständig an einer Forderungsdurchsetzung gehindert ist, desto höhere Anforderungen sind aber an die Belange des Schuldners zu stellen.