Gesetzestext
(1) Die Pfändung von Forderungen, die einem die Landwirtschaft betreibenden Schuldner aus dem Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zustehen, ist auf seinen Antrag vom Vollstreckungsgericht insoweit aufzuheben, als die Einkünfte zum Unterhalt des Schuldners, seiner Familie und seiner Arbeitnehmer oder zur Aufrechterhaltung einer geordneten Wirtschaftsführung unentbehrlich sind.
(2) Die Pfändung soll unterbleiben, wenn offenkundig ist, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung der Zwangsvollstreckung nach Absatz 1 vorliegen.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 851a ergänzt den Schutz des Landwirts aus § 811 Nr 3 und 4. Während § 811 Nr 3 und 4 den Bestand des landwirtschaftlichen Betriebs durch den Erhalt seiner Erzeugnisse sichern soll, schützt § 851a Forderungen aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Da die Forderungen kein Arbeitsentgelt darstellen, sind die §§ 850 bis 850c unanwendbar. Nach dem ursprünglichen gesetzgeberischen Konzept dient die Vorschrift einem doppelten Zweck. Zunächst sollte sie das Existenzminimum des Landwirts und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen sichern. Außerdem schützt sie im öffentlichen Interesse den Fortbestand des Unternehmens nebst den dazugehörigen Arbeitsplätzen. Dies verschafft dem landwirtschaftlichen Produktionsbetrieb eine vollstreckungsrechtlich einmalige Stellung, die erst durch die Insolvenz begrenzt wird. Diese Aufgabenstellung ist inzwischen weitgehend obsolet geworden (vgl St/J/Würdinger § 851a Rz 1). Durch den weitergehenden Schutz der Einkünfte gem § 850i läuft die unterhaltssichernde Funktion von § 851a I praktisch weitgehend leer (Rn 4). Angesichts der umfassend gesicherten Nahrungsmittelversorgung ist auch die vollstreckungsrechtliche Privilegierung agrarischer Betriebe kaum noch zu rechtfertigen.
B. Voraussetzungen und Wirkung.
I. Anwendungsbereich.
Rn 2
Vom personellen Anwendungsbereich wird der Landwirt geschützt. Landwirt ist, wer haupt- oder nebenberuflich eine Landwirtschaft betreibt (Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Kessal-Wulf/Lorenz § 851a Rz 1). Der Begriff entspricht dem aus § 811 Nr 4 (§ 811 Rn 22). Zur Landwirtschaft gehören die der Urerzeugung dienenden Betriebe der Bodenbewirtschaftung oder Bodennutzung durch Tierhaltung, also Acker-, Obst- und Weinbau, Vieh-, Geflügel- und Fischzucht, Binnenfischerei, Imkerei, Gärtnerei, Forstwirtschaft und Baumschulen (BGHZ 24, 169, 171). Der Landwirt muss den Beruf selbständig ausüben und das Unternehmerrisiko tragen. Geschützt ist auch der Genosse einer landwirtschaftlichen Genossenschaft. Unerheblich ist, ob der Landwirt einen eigenen oder einen gepachteten Betrieb bewirtschaftet.
Rn 3
Vom sachlichen Anwendungsbereich werden Forderungen aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse erfasst. Der Begriff der Erzeugnisse entspricht dem in § 811 Nr 4. Dies schließt Kaufgeldforderungen aus der Veräußerung von Obst, Gemüse, Getreide, Vieh und Geflügel ein. Dazu gehören auch das Milchgeld (LG Bonn DGVZ 83, 153) und die Bullenprämie (LG Koblenz JurBüro 03, 382, 383). Soweit staatliche Subventionen erwerbswirtschaftliche Einnahmen ersetzen und den Kaufpreis ergänzen oder an dessen Stelle treten, sind sie nach der Funktion von § 851a dem Pfändungsschutz unterstellt (BGH NJW-RR 09, 411 [BGH 23.10.2008 - VII ZB 92/07] Rz 16). Auf den Anspruch auf Auszahlung einer Ausgleichszahlung in benachteiligten Gebieten ist § 851a I nicht entspr anwendbar (BGH JurBüro 12, 494). Anders als nach § 851b I 2 sind Barmittel und Guthaben aus den Verkäufen nicht geschützt (St/J/Würdinger § 851a Rz 1).
II. Geschützte Ausgaben.
Rn 4
Beim Schutz des Unterhalts für den Schuldner und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen steht § 851a I in Konkurrenz mit der weitergehenden Regelung aus § 850i, die höhere Pfändungsgrenzen begründet. § 850i I verdrängt – nur – insoweit § 851a I, denn es ist nicht gerechtfertigt, den Landwirt ggü allen anderen Selbständigen schlechter zu stellen. Sonst wäre die Zwecksetzung von § 851a in ihr Gegenteil verkehrt, die gerade darauf abzielt, den Schutz des Landwirts zu verbessern. Eigenständige Bedeutung besitzt die Unterhaltsbemessung nach Abs 1 nur noch iRv Abs 2.
Rn 5
Die zum Unterhalt des Schuldners, seiner Familie und seiner Arbeitnehmer oder zur Aufrechterhaltung einer geordneten Wirtschaftsführung unentbehrlichen Beträge sind dem Schuldner zu belassen. Unentbehrlich sind die Mittel, wenn der Bedarf nicht auf andere Weise gedeckt werden kann (Zö/Herget § 851a Rz 5). Die enge Formulierung des unentbehrlichen Unterhalts belegt, dass dem Schuldner und seiner Familie nicht ein an die Tabellensätze aus § 850c angelehnter angemessener Unterhalt, sondern eine dem notwendigen Unterhalt aus den §§ 850d, 850f I entspr Summe verbleiben soll (vgl Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Kessal-Wulf/Lorenz § 851a Rz 5). Mit Familie sind die unterhaltsberechtigten Personen iSv § 850c gemeint. Sie müssen nicht mit dem Schuldner zusammenwohnen (aA B/L/H/A/G/Nober § 851a Rz 2).
Rn 6
Geschützt ist auch die Vergütung der Arbeitnehmer für den unentbehrlichen Personalstamm in der nach den konkreten Arbeitsverhältnissen u...