Gesetzestext
(1) Der Mangel der Vollmacht kann von dem Gegner in jeder Lage des Rechtsstreits gerügt werden.
(2) Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt.
A. Vollmachtsmangel.
Rn 1
Die Vorschrift regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Mangel der Vollmacht vom Gericht geprüft werden muss und dient der Schaffung klarer Verhältnisse, was angesichts der verfahrensrechtlichen Folgen der fehlenden Vertretungsmacht (§§ 574 Nr 4, 579 I Nr 5) große Bedeutung hat. Sie erfasst alle Arten von Mängeln: Die Prozessvollmacht wurde nicht oder nicht wirksam erteilt, sie wurde widerrufen oder ist sonst erloschen (insoweit sind aber §§ 86, 87 zu beachten) oder sie wurde nicht in der gebotenen Form nachgewiesen (Zö/Althammer § 88 Rz 1; Musielak/Voit/Weth § 88 Rz 2). Ohne Bedeutung ist, ob es sich um eine Haupt- oder Untervollmacht handelt (St/J/Jacoby § 88 Rz 1). Die Vorschrift gilt in allen Verfahren nach der ZPO und in allen Stadien dieser Verfahren (BGH NJW 02, 1958), auch für die Zwangsvollstreckung (B/L/H/A/G/Weber § 88 Rz 3). Lediglich im Mahnverfahren bedarf es auch nach Rüge keines Vollmachtsnachweises (§ 703). Auch im WEG-Verfahren ist die Vorschrift anwendbar (B/L/H/A/G/Weber § 88 Rz 3). Auch im Verfahren nach § 36 ist der Rüge nicht nachzugehen (BayObLG Beschl v 19.12.19 – 1 AR 110/19 Rz 12). Die Prüfung der Postulationsfähigkeit erfolgt immer vAw, für sie gilt § 56 und nicht § 88 (Musielak/Voit/Weth § 88 Rz 2). Nach §§ 112, 113 I FamFG findet die Vorschrift auch in Ehesachen und Familienstreitsachen Anwendung. Für die übrigen Verfahren nach dem FamFG enthalten § 11 S 3, 4 FamFG eine nahezu identische Regelung, die eine Prüfung vAw auch dann ausschließt, wenn ein Notar (§ 10 II Nr 3 FamFG) auftritt.
B. Rüge.
Rn 2
Der Mangel der Vollmacht kann jederzeit in jeder Lage des Rechtsstreits (auch noch in der Zwangsvollstreckung und der Kostenfestsetzung; MüKoZPO/v. Mettenheim § 88 Rz 6) gerügt werden, denn auf das Rügerecht kann nicht verzichtet werden (allgM St/J/Jacoby § 88 Rz 2; Zö/Althammer § 88 Rz 3). Deshalb kann die Rüge auch erst im Rechtsmittelzug erhoben werden (BGH NJW 02, 1957, 1958) und sich auf einen früheren Zeitpunkt (zB die 1. Instanz) beziehen (Hambg NJW-RR 88, 1182, 1183). Allerdings kann der Mangel dann schon durch Genehmigung geheilt sein. Eine Grenze ergibt sich aus dem Missbrauchsverbot (KG KGR 04, 91). Die erhobene Rüge umfasst alle Prozesshandlungen und wirkt fort, weshalb die in der 1. Instanz erhobene Rüge in der höheren nicht wiederholt werden muss (BGH NJW-RR 86, 1252, 1253). Die Rüge kann zurückgenommen (Köln NJW-RR 92, 1162 [OLG Köln 08.04.1992 - 2 U 90/91]), das Vorliegen einer Vollmacht kann nach anfänglichem Bestreiten noch unstr gestellt werden (KG KGR 05, 26). Die Rüge kann nicht nach § 296 präkludiert sein (Musielak/Voit/Weth § 88 Rz 4), § 528 II gilt nicht (BGH, NJW 02, 1957 [BGH 07.03.2002 - VII ZR 193/01]). Nach Eintritt der Rechtskraft findet keine Prüfung der Vollmacht mehr statt. Deshalb kann eine Rüge im Kostenfestsetzungsverfahren nur noch bezogen auf das Kostenfestsetzungsverfahren und nicht mehr für das Hauptsachverfahren erhoben werden (BGH NJW 11, 3722 Rz 6; Hamm OLGR 05, 385, 386). Auch diese Rüge ist ausgeschlossen, wenn ein Mangel der Vollmacht bereits geprüft und verneint wurde (BGH NJW 11, 3722 [BGH 14.07.2011 - V ZB 237/10] Rz 7). Eine bedingte Rüge der Vollmacht für den Fall, dass keine Abweisung der Klage in der Sache erfolge, ist ohne Wirkung (Kobl OLGR 99, 68, 70). Die Rüge ist Prozesshandlung. Sie kann deshalb nicht im vorprozessualen Schriftverkehr erhoben werden, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Prozessrechtsverhältnis besteht (Frankf Urt v 7.2.03 – 25 U 107/02, Rz 24 ff).
C. Prüfung der Vollmacht.
I. Vertretung durch einen Anwalt.
Rn 3
Bei einer Vertretung durch einen Anwalt findet in allen Verfahren sowohl im Anwaltsprozess als auch im Parteiprozess eine Prüfung der Vollmacht – auch der Untervollmacht (BGH NJW-RR 92, 933 [BGH 24.02.1992 - II ZR 89/91]) – nur auf Rüge statt. Dies gilt auch für Verfahren oder Verfahrensabschnitte, für die kein Anwaltszwang gilt (Zwangsvollstreckung, Kostenfestsetzung, Verfahren vor dem beauftragten oder ersuchten Richter; OLG Köln OLGR 92, 96) und für selbstständige Verfahren außerhalb des eigentlichen Hauptsacheverfahrens (PKH, einstweiliger Rechtsschutz usw; Zö/Althammer § 88 Rz 2; Musielak/Voit/Weth § 88 Rz 6). In Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen gilt das Rügeerfordernis ebenfalls (Frankf FamRZ 79, 323). Rügeberechtigt ist der Gegner, die Partei selbst (BGH NJW 07, 3640, 3644 [BGH 30.05.2007 - XII ZB 82/06]) oder ihr Vertreter (Köln NJW-RR 92, 1162 [OLG Köln 08.04.1992 - 2 U 90/91]). Ohne Rüge ist dem Gericht grds eine Prüfung untersagt. Ausnahmsweise soll aber eine Amtsprüfung bei begründeten Zweifeln möglich sein (BGH NJW 01, 2095, 2096; BFH NJW 01, 2912), so bei einer offenbar interessenwidrigen Prozessführung (BFH NJW 97, 1029, 1030) oder wenn der Prozessbevollmächtigte selbst ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit seiner Bevol...