Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Gesetzestext
(1) 1Hat der Schuldner eine unbewegliche Sache oder ein eingetragenes Schiff oder Schiffsbauwerk herauszugeben, zu überlassen oder zu räumen, so hat der Gerichtsvollzieher den Schuldner aus dem Besitz zu setzen und den Gläubiger in den Besitz einzuweisen. 2Der Gerichtsvollzieher hat den Schuldner aufzufordern, eine Anschrift zum Zweck von Zustellungen oder einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen.
(2) Bewegliche Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, werden von dem Gerichtsvollzieher weggeschafft und dem Schuldner oder, wenn dieser abwesend ist, einem Bevollmächtigten des Schuldners, einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner übergeben oder zur Verfügung gestellt.
(3) 1Ist weder der Schuldner noch eine der bezeichneten Personen anwesend oder wird die Entgegennahme verweigert, hat der Gerichtsvollzieher die Sachen auf Kosten des Schuldners in die Pfandkammer zu schaffen oder anderweitig in Verwahrung zu bringen. 2Bewegliche Sachen, an deren Aufbewahrung offensichtlich kein Interesse besteht, sollen unverzüglich vernichtet werden.
(4) 1Fordert der Schuldner die Sachen nicht binnen einer Frist von einem Monat nach der Räumung ab, veräußert der Gerichtsvollzieher die Sachen und hinterlegt den Erlös. 2Der Gerichtsvollzieher veräußert die Sachen und hinterlegt den Erlös auch dann, wenn der Schuldner die Sachen binnen einer Frist von einem Monat abfordert, ohne binnen einer Frist von zwei Monaten nach der Räumung die Kosten zu zahlen. 3Die §§ 806, 814 und 817 sind entsprechend anzuwenden. 4Sachen, die nicht verwertet werden können, sollen vernichtet werden.
(5) Unpfändbare Sachen und solche Sachen, bei denen ein Verwertungserlös nicht zu erwarten ist, sind auf Verlangen des Schuldners jederzeit ohne Weiteres herauszugeben.
A. Normzweck, Regelungsgehalt und Historie.
Rn 1
§ 885 soll das Sachleistungsinteresse eines Gläubigers schützen und ergänzt somit § 883. Die Norm regelt die Zwangsvollstreckung von Ansprüchen, die auf Herausgabe, Überlassung oder Räumung einer unbeweglichen Sache oder eines eingetragenen Schiffes oder Schiffsbauwerks gerichtet sind. Die Vorschrift regelt daneben auch die von der Zwangsvollstreckung betroffenen beweglichen Sachen, die zwar nicht zu ihrem Gegenstand zählen, gleichwohl aber nicht am Vollstreckungsort verbleiben können (§ 885 II–V).
Rn 2
Die im Zuge des G zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung 2001 gefasste Modifikation des Abs 1 dient dem Zweck, die Räumungsvollstreckung einfacher und effektiver zu gestalten (BTDrs 14/5429, 34). Dies geschieht zum einen dadurch, dass der GV den Schuldner zur Benennung einer zustellungsfähigen Anschrift oder eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 885 I 2 anhalten kann, um die Zustellung zu bewirken. Zum anderen erlaubte der durch das FGG-RG gestrichene § 885 I 3 aF in Fällen EA gem § 620 Nr 7, Nr 9 aF sowie nach § 621g S 1 aF (§ 49 FamFG) eine mehrfache Vollziehung des entspr Räumungs- und Herausgabetitels, allerdings nur während der Geltungsdauer der EA. Der Regelungsgehalt des § 885 I 3 und 4 aF findet sich seit dem 1.9.09 in § 96 II FamFG. Durch die Änderung des MietRÄndG zum 1.5.13 (BGBl I 13, 434) sollte im Wesentlichen eine Anpassung an die geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgen, so dass bspw § 885 II auch von ständigen Mitbewohnern spricht. Ein weiteres Ziel der Änderung liegt in der gesetzlichen Fixierung bereits gefestigter Rspr (BTDrs 17/10485, 30 ff).
B. Anwendungsbereich.
I. Gegenstand der Herausgabe.
Rn 3
In den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen diejenigen Konstellationen, in denen der Schuldner nach dem Inhalt des Vollstreckungstitels eine unbewegliche Sache, ein eingetragenes Schiff oder Schiffsbauwerk entweder zu räumen, dem Gläubiger zu überlassen oder an ihn herauszugeben hat.
II. Unbewegliche Sachen.
Rn 4
Unbewegliche Sachen iSd Norm sind Grundstücke und Teile von Grundstücken, etwa Wohnungen, Geschäftsräume und sonstige Gebäude jeglicher Art. Unerheblich bleibt, ob die zu räumenden Gebäude wesentliche Bestandteile iSd § 94 I BGB und damit selbst unbewegliche Sachen im Rechtssinne sind. Deshalb muss auch ein Vollstreckungstitel, der auf Räumung von Behelfsheimen oder Wohnwagen lautet, nach § 885 I vollstreckt werden (Hamm NJW 65, 2207 [OLG Hamm 24.08.1965 - 15 W 327/65]; Celle NJW 62, 595). Anders verhält es sich, wenn nach dem Titel wesentliche Bestandteile eines Grundstücks oder Grundstückszubehör von diesem getrennt und durch Entfernung vom Grundstück an den Gläubiger herausgegeben werden müssen. Diese Vollstreckung erfolgt nach § 883 und ggf nach § 887. Lautet der Titel hingegen auf Räumung bzw Herausgabe eines Grundstücks samt Zubehör, vollzieht sich die Vollstreckung ausschl nach § 885 (Hamm JurBüro 56, 31). Für § 883 bleibt dann kein Raum, es sei denn, aus dem Titel ergibt sich ausdrücklich, dass die Herausgabe des Zubehörs durch Entfernung vom Grundstück zu erfolgen hat (Schuschke/Walker/Walker/Koranyi Rz 2). Wenn...