Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Rn 3
§ 890 verlangt eine titulierte Unterlassungs- bzw Duldungsverpflichtung des Schuldners. Der Titel kann auch eine Verpflichtung zur Handlung beinhalten, wenn der Schuldner der Pflicht zur Duldung oder Unterlassung nur genügen kann, indem er die hierfür erforderliche positive Handlung vornimmt (BGH MDR 20, 1276 [BGH 09.07.2020 - I ZB 79/19] – für die Duldung der Inaugenscheinnahme müssen Geschäftsräume aufgesperrt werden). Als Titel kommen neben (rechtskräftigen oder vorläufig vollstreckbaren) (Leistungs-)Urteilen insb eV, Prozessvergleiche (bspw BayVGH BayVBl 16, 493 [BVerwG 17.12.2015 - BVerwG 1 C 31.14]; Frankf MD 16, 647) sowie vollstreckbare Beschl nach dem WEG in Betracht. Die Unterlassungsverpflichtung im Prozessvergleich kann strafbewehrt sein, muss es aber nicht (Frankf MD 16, 647). Feststellungsurteile werden von § 890 nicht erfasst.
Rn 4
Die titulierte Verpflichtung muss in der Weise inhaltlich bestimmt sein, dass das dem Schuldner aufgetragene Verhalten für jedermann ersichtlich ist (BGH NJW 80, 700, 701; LAG Hamm NZA-RR 16, 570 Rz 20 ff; LAG Nürnberg 3.5.16 – 2 Ta 50/16 Rz 9 [nicht hinreichend bestimmt: Verpfl, Arbeitszeugnis mit Schulnote ›gut‹ zu erteilen]; LAG Hessen NZA-RR 19, 157 Rz 24 [ebenso]; LAG Hessen FA 19, 115 [ebenso, aber mit Abweichung für den konkreten Fall]; LAG Berlin-Brandenburg BB 18 1331 LS [hinreichend bestimmt: Zeugnis endend mit der ›üblichen Dankes- und Bedauernsformel‹]; LAG München 19.6.18 – 7 Ta 281/17 Rz 22 ff). Die hinreichende Bestimmtheit wird jedoch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die verwendeten Begriffe einer Konkretisierung bedürfen (Kobl NJW-RR 87, 95, 96; vgl auch Nürnbg GRUR-RR 04, 61, 62; LAG Hamm NZA-RR 16, 570 [LAG Hamm 27.07.2016 - 4 Ta 118/16] Rz 20 ff). Bloße Wiederholung des Gesetzestextes genügt den Anforderungen hingegen nicht. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Gesetzeswortlaut selbst bereits hinreichend bestimmt ist (Frankf WRP 78, 830). Bei einer Unterlassungsverpflichtung muss das erforderliche Tätigwerden nicht ausdrücklich im Titel bezeichnet sein (Rostock 7.11.17 – 3 W 136/17 Rz 48).
Rn 5
Für die Auslegung zur Bestimmung des Titelinhalts (zB Unterlassungsverpfl iHa Vertrieb eines Produkts umfasst nicht Rückruf – Frankf GRUR 16, 1319 [BGH 21.04.2016 - I ZR 100/15]; Pflicht des Klinik-Chefarztes zur Unterlassung einer bestimmten Werbung umfasst auch Kontrollobliegenheit der Flyer im Eingangsbereich der Klinik – LG Köln 6.5.16 – 31 O 196/14) muss zunächst auf den Tenor abgestellt werden, daneben auf den Tatbestand, die Entscheidungsgründe und ggf auch die Antrags- oder Klagebegründung sowie weiteres Parteivorbringen (BGHZ 124, 173, 175; Ddorf NJW-RR 01, 1223, 1224; LAG Hamm 9.3.16 – 4 Ta 610/15 Rz 26; KG Berlin WRP 19, 635 Rz 3; KG MD 19, 581 Rz 16; Kobl WRP 19, 789 Rz 4). Es ist grds nicht auf Urkunden Bezug zu nehmen, die nicht Bestandteil des Titels sind (BGH NJW 06, 695 [BGH 07.12.2005 - XII ZR 94/03]; LAG Hessen 30.12.20 – 8 Ta 342/20 Rz 30). Zur Auslegung eines Anerkenntnisurteils ohne Tatbestand und Gründe kann indes auf die Klageschrift zurückgegriffen werden (Saarbr ZEV 18, 426). Ebenso wurde zur Auslegung eines Beschlusses auf die Antragsschrift und auf eine ihr beigefügte Anlage Bezug genommen (KG MD 18, 637 Rz 2). Dies gilt besonders, wenn über § 313 II auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen wurde (LAG Hessen 30.12.20 – 8 Ta 342/20 Rz 30). Für Betriebsvereinbarungen als privatrechtliche kollektive Normenverträge gilt dies jedoch nicht (LAG Düsseldorf BB 17, 1396 Rz 20 und LAG Düsseldorf 31.3.17 – 13 Ta 242/16 Rz 4). Auch bei Entscheidungen in Hauptsacheverfahren, die aufgrund streitiger Verhandlung ergehen, ist die Beifügung der in Bezug genommenen Anlage nicht unbedingt erforderlich, weil sie den Prozessparteien bekannt und als Aktenbestandteil festgelegt ist (KG StoffR 2017, 238 [KG Berlin 18.07.2017 - 5 U 132/15] Rz 30). Bei der Auslegung sind Verallgemeinerungen zulässig, sofern die Charakteristika der konkreten Verletzung zum Ausdruck kommen (LAG Hamm 9.3.16 – 4 Ta 610/15 Rz 26). Maßgebliche Auswirkungen entfaltet das Auslegungsergebnis auch im Vollstreckungsverfahren, da sich das Vollstreckungsgericht an diesem zu orientieren hat (BVerfG 23.8.10 – 1 BvR 480/10). Das Zwangsvollstreckungsverfahren eignet sich nicht zur Klärung des Titelinhalts (konkrete Arbeitsbedingungen einer titulierten Beschäftigung), hierfür bedarf es eines weiteren Erkenntnisverfahrens (LAG BaWü JurBüro 17, 547 Rz 26). Für die Auslegung ist ohne Bedeutung, welche sachlich-rechtlichen Ansprüche ihm zustehen (Kobl WRP 19, 789 [OLG Frankfurt am Main 12.02.2019 - 11 U 156/17] Rz 4).