Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Rn 14
Anknüpfungspunkt für die Verhängung von Ordnungsmitteln ist eine Zuwiderhandlung gegen die im Titel aufgeführte Unterlassungs- oder Duldungspflicht (Gegenbsp etwa OVG Hamburg 7.7.16 – 5 So 110/15 und LAG SchlH 23.6.16 – 1 Ta 68/16). An einer Zuwiderhandlung fehlt es bspw, wenn ein Unterlassungstitel gegen das Angebot ›gefälschter‹ Waren gerichtet ist und der Schuldner das erneute Angebot mit ›nicht erschöpfter‹ Ware erfüllen könnte (Frankf WRP 18, 1114 [OLG Frankfurt am Main 30.05.2018 - 6 W 33/18] Rz 6). Die Zuwiderhandlung muss grds vom Titelschuldner selbst herrühren. Handelt es sich beim Schuldner um eine juristische Person, Handelsgesellschaft etc, ist ein Verstoß des gesetzlichen Vertreters bzw Organs erforderlich (Hamm WRP 79, 802). Das Verhalten sonstiger Angestellter oder Beauftragter kann hingegen nicht zugerechnet werden (ThoPu/Seiler Rz 12). Grds muss wegen des strafähnlichen Charakters der Gläubiger den Vollbeweis der (schuldhaften) Zuwiderhandlung erbringen, doch ist gleichwohl der Anscheinsbeweis zulässig (VG Frankfurt/O. 14.9.20 – 5 M 17/20 Rz 18).
Rn 15
Der Verstoß durch Dritte rechtfertigt Maßnahmen nach § 890, wenn der Schuldner verpflichtet gewesen wäre, deren verbotswidriges Verhalten zu unterbinden und seine Untätigkeit für den Verstoß gegen das Unterlassungsgebot ursächlich war. Erforderlich ist, dass der Schuldner Kenntnis von dem vom Dritten veranlassten Störungszustand hat und mit einem titelverletzenden Verhalten ernstlich rechnen musste (Frankf GRUR-RR 18, 223 Rz 7). Es obliegt dem Schuldner, sich zu entlasten (Kobl WRP 19, 789 Rz 10). Eine Pflicht zur aktiven Einwirkung auf Dritte kommt im wirtschaftlich relevanten Bereich nur in Betracht, wenn das Handeln des Dritten dem Schuldner wirtschaftlich zugutekommt (BGH GRUR 17, 208 Rz 30; GRUR 17, 823 [BGH 04.05.2017 - I ZR 208/15] Rz 29; GRUR 18, 1183 [BGH 12.07.2018 - I ZB 86/17] Rz 19 m krit Anm Hager NJW 19, 58; Kobl WRP 19, 789 [OLG Frankfurt am Main 12.02.2019 - 11 U 156/17] Rz 7; Frankf WRP 21, 76, 77 Rz 12). Seine Mitarbeiter muss der Schuldner nicht nur über den Inhalt des Titels informieren und zu entsprechendem Verhalten auffordern, sondern regelmäßig auf sie durch Belehrungen und Anordnungen im Einzelfall einwirken und die Befolgung genau kontrollieren (KG WRP 19, 1483 Rz 8f).
Rn 16
Die Pflicht zur Einwirkung auf Dritte wird etwa bejaht, wenn der Schuldner sein 9-jähriges Kind nicht am untersagten Klavierspiel hindert (München NJW-RR 86, 638), Fahrten über das Grundstück des benachbarten Gläubigers durch Dritte zulässt (BGH NJW-RR 03, 1235, 1236 [BGH 11.04.2003 - V ZR 323/02]), nicht hinreichend auf den Dritten einwirkt, damit dieser die beanstandete Werbung von seiner Website nimmt (LG Frankfurt WRP 15, 1278), nicht beim Betreiber der Internetplattform eBay darauf hinwirkt, dass die beanstandeten Fotografien nicht mehr über gewisse Suchfunktionen aufgerufen werden können (vgl BGH GRUR 15, 258 [BGH 18.09.2014 - I ZR 76/13] Rz 66; ähnlich: Mediathek: Celle WRP 17, 1390 [OLG Celle 21.08.2017 - 13 W 45/17]), bei Pflicht zur Unterlassung gewisser Aussagen auf seiner Webseite ggü Google den Antrag auf Löschung im Google-Cache bzw den Antrag auf Entfernung der von der Webseite bereits gelöschten Inhalte nicht gestellt hat (LG Hannover MD 19, 323 Rz 4), bei einem Verbot, auf Gräbern Blumenvasen mit Werbung aufzustellen nicht auf seine Kunden einwirkt, diese Blumenvasen nicht auf Gräbern aufzustellen (Kobl WRP 19, 789 [OLG Frankfurt am Main 12.02.2019 - 11 U 156/17]) oder nicht die anderen Mitglieder einer Redaktionsgemeinschaft auf den Unterlassungstitel hinweist (LG Hamburg AfP 15, 469 Rz 2f). Verneint bei Unterlassungsverpflichtung in einer eV, wenn der Antragsgegner bereits vertriebene Produkte nicht zurückgerufen hat, wenn sich diese bereits bei den Endabnehmern befinden, die die Produkte nicht weitervertreiben (LG Hamburg GRUR-RR 18, 319 LS 1). Verneint auch im Hinblick auf ein Unterlassungsgebot, Waren nicht zu vertreiben, ggü wirtschaftlich und rechtlich selbständigen Dritten (Ddorf GRUR-RR 19, 278, indes in Abweichung zu BGH, GRUR 18, 292 [BGH 11.10.2017 - I ZB 96/16]).
Rn 17
Eine Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot ist auch dann zu bejahen, wenn das Verhalten des Schuldners zwar nicht völlig mit der verbotenen Handlung übereinstimmt, aber der Titel das Charakteristische, dh den Kern der Verletzungsform zweifelsfrei zum Ausdruck bringt und das Verhalten des Schuldners nach der Verkehrsauffassung einen (nicht bloß ähnlichen, sondern) gleichwertigen Verstoß darstellt, so dass es den Kern der titulierten Verpflichtung verletzt (sog Kerntheorie oder Kernverstoß, RGZ 147, 27, 31; BGH MDR 14, 737 [BGH 03.04.2014 - I ZB 42/11]; BGH MDR 13, 1118, 1119 [BGH 06.02.2013 - I ZB 79/11]; BGH NJW 96, 723, 724 [BGH 09.11.1995 - I ZR 212/93]; Frankf NJW 95, 892; München GRUR-RR 11, 32, 33 m Anm Becker GRUR-Prax 10, 303 f; Ddorf 28.5.15 – 22 U 4/15; LG Leipzig 25.3.15 – 5 O 848/13; Frankf 26.4.16 – 6 W 3/16; LG Köln 6.5.16 – 31 ...