Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Rn 20
Der Zuwiderhandelnde muss den Verstoß zudem schuldhaft herbeigeführt haben (BVerfGE 84, 82, 87; 58, 159, 162; BGH NJW 94, 45, 46 [BGH 30.09.1993 - I ZR 54/91]; BayVGH 14.8.14 – 2 C 13.1324, insoweit zust BayVerfGH BayVBl 17, 282; Schlesw MDR 14, 561; Hamm 3.3.17 – 7 WF 130/16 Rz 50; LAG Berlin-Brandenburg PflR 17, 642 Rz 48; Brandbg FamRZ 19, 1269 Rz 6). Das Verschulden kann über einen Anscheinsbeweis vermutet werden (Dresd 6.2.18 – 4 W 103/18 LS; VG Frankfurt/O. 14.9.20 – 5 M 17/20 Rz 19). Das Verschuldenserfordernis stellt ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dar, welches aus der überwiegend repressiven Rechtsnatur der Ordnungsmittel folgt. Denn Ordnungsgeld und Ordnungshaft sind nicht nur Zwangsmittel, sondern dienen auch der Sühne einer Zuwiderhandlung (Hamm 3.3.17 – 7 WF 130/16 Rz 50). Kein Verschulden, wenn der Schuldner das Unterlassungsgebot beim Begehen der Zuwiderhandlung weder kannte noch schuldhaft nicht kannte (Brandbg FamRZ 19, 1269 Rz 6). Kein Verschulden etwa dann, wenn Zustellung freitags, Verbotsinhalt und -umfang komplex und noch keine Umsetzung bis zum darauffolgenden Sonntag (Frankf GRUR-RR 18, 387 Rz 19). Verschulden aber zu bejahen bei einem wettbewerbsrechtlichen Verbot, bezahlte Kundenrezensionen auf der Internetplattform amazon.de einzustellen, wenn weiterhin bezahlte Kundenrezensionen vermittelt wurden (Frankf WRP 21, 76, 77 Rz 8 ff). Schuldfähigkeit ist erforderlich (Bremen FamRZ 15, 2002 Rz 6; Frankf FamRZ 14, 1956; Koblenz FamRZ 17, 1933 [Stalker]); für ihr Fehlen trägt der Antragsgegner die Darlegungs- und Beweislast, soweit sich nicht aus den Umständen Anhaltspunkte ergeben (Bremen FamRZ 15, 2002 Rz 6; Bremen STREIT 17, 75 Rz 5). Verschuldensmaßstab sowie Schuldfähigkeit richten sich nach den Grundsätzen des Strafrechts (LG Bonn FamRZ 06, 1290). Es gelten daher die §§ 19 ff StGB. Fahrlässiges Verhalten reicht aus (Stuttg MDR 58, 523; LAG Berlin-Brandenburg PflR 17, 642 [LAG Berlin-Brandenburg 05.04.2017 - 15 Ta 1522/16] Rz 48). Tätigwerden außerhalb der üblichen Bürozeiten ist nur zumutbar, wenn dem Vollstreckungsgläubiger ein erheblicher Schaden droht (Frankf GRUR-RR 18, 387 Rz 19). Ob ein höherer Grad des Verschuldens vorliegt, wird regelmäßig für die Höhe des Ordnungsgeldes von Bedeutung sein (Karlsr NZFam 15, 771 Rz 10 ff; LG Karlsruhe GRUR-RR 17, 464 Rz 24). Es ist möglich, dass ein Verschulden aufgrund eines Verbotsirrtums ausscheidet (BVerfGE 20, 323, 332 f [BVerfG 25.10.1966 - 2 BvR 506/63]; Köln GRUR-RR 18, 219 Rz 22). Anwaltliche Beratung entlastet den Schuldner idR noch nicht (Stuttg InVo 01, 382, 384 [OLG Stuttgart 28.03.2001 - 2 W 6/01]). Gleiches gilt für die Erwartung, mit einer Verfassungsbeschwerde Erfolg zu haben (BayObLG NJW-RR 95, 1040, 1041 [OLG Köln 16.05.1995 - 2 W 85/95]). Ordnungsmittel gegen einen prozessunfähigen Schuldner kommen in Betracht, wenn dieser (ausnw) schuldfähig ist und ihn ein Verschulden trifft.
Rn 21
Eine Zurechnung fremden Verschuldens, zB nach § 278 BGB, ist nicht möglich (BVerfGE 20, 323, 335 f [BVerfG 25.10.1966 - 2 BvR 506/63]; BGH GRUR 14, 909 [BGH 03.04.2014 - I ZB 3/12] Rz 11; Frankf WRP 15, 1008 Rz 10). Allerdings können mangelnde Organisation sowie unzulängliche Auswahl, Belehrung und Überwachung Dritter einen Verschuldensvorwurf ggü dem Schuldner begründen (Organisationsverschulden), der iÜ nicht selbst gegen den Titel verstoßen hat. Die Anforderungen an die zu beachtenden Sorgfalt sind streng (LG Frankfurt 24.1.19 – 2–03 O 250/18 Rz 30). Um sich von einem entspr Vorwurf zu befreien, hat der Schuldner alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um ein verbotswidriges Verhalten zB seiner Angestellten oder Beauftragten zu verhindern (Karlsr InVo 02, 384, 385 [OLG Karlsruhe 28.12.2001 - 6 W 101/01]; Stuttg VuR 00, 453, 454; Frankf WRP 18, 245). Mitarbeiter und Beauftragte müssen überwacht werden, für den Fall der Nichtbeachtung müssen Sanktionen angedroht werden, bei fortgesetzter Nichtbeachtung müssen diese Sanktionen auch verhängt werden (LG Frankfurt 24.1.19 – 2–03 O 250/18 Rz 30). Bei juristischen Personen, Handelsgesellschaften etc wird auf das Verschulden der Organe abgestellt (BGH GRUR 12, 541 [BGH 12.01.2012 - I ZB 43/11]), zB Vorstand einer AG (BVerfG NJW-RR 17, 957 [BVerfG 09.05.2017 - 2 BvR 335/17] Rz 30); Organisationsverschulden der Organe genügt (Köln MMR 17, 703 [OLG Köln 15.03.2017 - 6 W 31/17]). Stirbt der Schuldner des Unterlassungsanspruchs nach der Zuwiderhandlung, scheidet eine Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen seinen Erben mangels persönlichen Verschuldens aus (Hamm MDR 86, 156; aA KG DB 85, 2245). Für die Beurteilung der Schuldhaftigkeit ist auch zu berücksichtigen, welcher zeitliche Aufwand für die Prüfung der Beschlussverfügung im Hinblick auf die Ermittlung des Verbotsumfangs und die konkret zu ergreifenden Maßnahmen erforderlich ist (Frankf GRUR-Prax 16, 425).