Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Rn 10
Die Willenserklärung des Schuldners gilt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft, im Falle des S 2 mit Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, als abgegeben (vgl BGH NJW-RR 11, 1382; vgl BAG NZA 11, 161, 162 [BAG 17.08.2010 - 9 AZR 401/09]; vgl Hamm RNotZ 14, 254). Bei Schiedssprüchen und ausländischen Urt ist auf die Rechtskraft der zugehörigen Vollstreckbarkeitserklärung abzustellen (BGH BB 61, 264; München GWR 16, 420 [OLG München 15.09.2016 - 34 Sch 19/16], aA Dresd 8.5.11, 11 Sch 8/01). Die Fiktionswirkung löst sämtliche Rechtsfolgen aus, welche eingetreten wären, wenn der Schuldner die Erklärung mit gleichlautendem Inhalt und zum entspr Zeitpunkt unter Beachtung aller Wirksamkeitserfordernisse abgegeben hätte (BAG BB 77, 895, 896; LG Wiesbaden 31.7.14 – 8 O 85/14). Letzteres führt dazu, dass die Einhaltung der Formvorschriften von der Fiktionswirkung erfasst wird (BPatG 28.6.19 – 7 W (pat) 4/18 Rz 27). Urteilszusätze über die Verpflichtung zur Einhaltung einer bestimmten Form sind aus diesem Grunde gegenstandslos (Köln NJW-RR 00, 880 [OLG Köln 30.12.1998 - 2 Wx 23/98]). Ebenfalls überwunden werden eine zum Zeitpunkt des Rechtskraftseintritts fehlende Geschäftsfähigkeit sowie die mangelnde Verfügungsbefugnis des Schuldners. Da eine für die Wirksamkeit der Willenserklärung erforderliche Genehmigung (zB des FamG gem §§ 1821 f BGB) vom Prozessgericht vor Titelerlass zu überprüfen ist, wird auch sie mit Eintritt der Fiktion ersetzt (BayObLG MDR 53, 561, 562 [OLG Hamm 09.03.1953 - 15 W 44/53]; aA MüKoZPO/Gruber Rz 16). Steht einer der Parteien nach dem Urteilsinhalt ein Wahlrecht zwischen mehreren Willenserklärungen oder einer Willenserklärung und einer Leistung zu (§§ 262 ff BGB), treten die Vollstreckungsfolgen des S 1 grds erst nach Rechtskraft sowie Ausübung des Wahlrechts ein. Der Gläubiger als Ausübungsberechtigter kann von seinem Wahlrecht bereits ab dem Zeitpunkt der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Titels Gebrauch machen, sofern er dieses nicht bereits vorher ausgeübt oder gem § 264 II BGB verloren hat (B/L/H/A/G/Schmidt Rz 16). Steht das Wahlrecht dem Schuldner zu, muss dieser es bis zum Beginn der Zwangsvollstreckung ausüben; anderenfalls geht es gem § 264 I Hs 1 BGB auf den Gläubiger über (vgl aber auch RGZ 53, 80, 84 – Vollstreckung nach § 888 bei Wahlrecht des Schuldners).
Rn 11
Die Fiktion beschränkt sich auf die Abgabe der Willenserklärung des Schuldners, so dass alle übrigen Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts von ihr unberührt bleiben (BGHZ 82, 292, 297). Bei der Auflassung kann über § 894 nur die Erklärung des Auflassungsschuldners ersetzt werden, nicht die des Gläubigers (München Rpfleger 17, 532 [OLG München 21.03.2017 - 34 Wx 22/17] Rz 19). Ferner sind insb die Vorschriften über den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen (§§ 130 ff BGB) zu beachten. Erforderlich ist daher, dass der Gläubiger nicht nur die Möglichkeit besitzt, vom Inhalt des Urt Kenntnis zu erlangen, sondern dass unter normalen Umständen mit einer Kenntnisnahme auch gerechnet werden kann. An letzterem fehlt es etwa im Falle einer Urteilsverkündung in Abwesenheit des Gläubigers (arg § 312 I 1; wie hier Wieczorek/Schütze/Rensen Rz 22; ähnl MüKoZPO/Gruber Rz 17). Handelt es sich beim Adressaten der Erklärung um einen Dritten, zB eine Behörde, muss der Gläubiger diesem eine Ausfertigung des rechtskräftigen Urt vorlegen, übersenden oder gem § 132 BGB zustellen (RGZ 160, 321, 324f). Der Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels bedarf es jedoch nicht, weil die Zwangsvollstreckung durch den Fiktionseintritt beendet wird.
Rn 12
Ebenfalls nicht ersetzt werden erforderliche Erklärungen des Gläubigers oder eines Dritten. Im Falle einer gem S 1 fingierten Auflassungserklärung des Schuldners muss der Gläubiger daher nach Fiktionseintritt vor der zuständigen Stelle unter Vorlage des rechtskräftigen Titels noch in notariell beurkundeter Form die Annahme erklären (BayObLG RNotZ 05, 362, 363). Ebenfalls nicht ersetzt wird die nach § 21 II 1 Nr 2 Alt 2 InsO erforderliche Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters (BGH WM 18, 1417 [BGH 04.07.2018 - IV ZR 297/16] Rz 22 m Anm Baumert). Ebenso bleiben weitere Handlungen des Schuldners erforderlich, welche sich von der Abgabe der Willenserklärung trennen lassen, zB die Übergabe der zu übereignenden beweglichen Sache (vgl § 897). Fehlen behördliche Genehmigungen, welche nicht die Wirksamkeit der Willenserklärung des Schuldners, sondern des Rechtsgeschäfts in seiner Gesamtheit betreffen (zB § 2 I 1 GrdstVG), ist dieses bis zu ihrer Einholung schwebend unwirksam (BGHZ 82, 292, 297).