Rn 65
Bis zum Wegfall des Postulationszwangs spielte der Verkehrsanwalt eine große Rolle, da der Anwalt am Sitz der Partei an einem auswärtigen Familien-, Land- oder Oberlandesgericht grundsätzlich nicht auftreten durfte, sofern das Verfahren nicht vom Anwalts- oder Zulassungszwang befreit war. Daher stellten sich häufig Fragen, ob die Mehrkosten des Verkehrsanwalts zu erstatten waren, was zu einer umfangreichen Rspr. geführt hatte. Da jetzt der am Sitz der Partei ansässige Anwalt auch vor dem auswärtigen Gericht grundsätzlich auftreten darf, bedarf es eines Verkehrsanwalts i.d.R. nicht mehr, zumal die Einschaltung eines Terminsvertreters (s Rn 58) die günstigere Variante ist. Der Verkehrsanwalt hat daher kaum noch praktische Bedeutung. Infolge der Änderung der gesetzlichen Grundlagen (Wegfall des Postulationszwangs) kann auf ältere Rspr zur Lage vor dem 1.1.02 nicht mehr zurückgegriffen werden.
Nach derzeitigem Recht ist die Einschaltung eines Verkehrsanwalts grundsätzlich nicht notwendig, da die Partei an ihrem Sitz einen Prozessbevollmächtigten mandatieren darf. Sie kann dann entweder diesen beauftragen, die Gerichtstermine selbst wahrzunehmen und die → Reisekosten des Anwalts erstattet verlangen oder sie kann einen Terminsvertreter am Ort des Gerichts einschalten und dessen Mehrkosten anmelden. Aus der grundsätzlich fehlenden Notwendigkeit, einen Verkehrsanwalt einzuschalten, folgt jedoch nicht, dass dessen Kosten nicht erstattungsfähig sind. Seine Kosten sind vielmehr erstattungsfähig in Höhe der ersparten Mehrkosten eines Terminsvertreters oder, wenn auch dieser nicht notwendig war, in Höhe der ersparten notwendigen Reisekosten des Anwalts (München AGS 08, 52 = JurBüro 07, 595; Brandenburg MDR 09, 174 = JurBüro 09, 14 [OLG München 28.02.2007 - 11 W 644/07]).
Im Berufungsverfahren ist die Hinzuziehung eines Verkehrsanwalts idR ebenso wenig erforderlich wie in erster Instanz (BGH AGS 15, 152 = NJW 15, 633 = JurBüro 15, 197; AGS 06, 148 = NJW 06, 301). Das gilt jedenfalls dann, wenn im Berufungsverfahren keine wesentlich neuen Tatsachen vortragen werden (LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 31.8.2006 – 1 Ta 34/06). Auch hier sind die Kosten jedoch in Höhe der ersparten Kosten eines Terminsvertreters oder der ersparten Reisekosten des Anwalts erstattungsfähig.
Im Revisionsverfahren ist zu beachten, dass vor dem BGH nach wie vor Postulationszwang besteht (§ 78 I 3), sodass hier noch die Bestellung eines Verkehrsanwalts in Betracht kommt. Die Einschaltung eines Verkehrsanwalts ist allerdings grundsätzlich nicht erforderlich (BGH NJW 15, 633 = AGS 15, 152), zumal hier keine neuen Tatsachen vorgetragen werden können und weil wegen des Vorliegens eines gerichtlichen Urteils sowie bereits erfolgter Würdigung des Sachverhaltes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht grundsätzlich kein Informationsfluss zwischen der Partei und dem Prozessbevollmächtigten mehr erfolgen muss (Rostock RVGreport 10, 395 = JurBüro 10, 600; Hambg JurBüro 12, 371). Nur ausnahmsweise können die Kosten für einen Verkehrsanwalt im Revisionsverfahren erstattungsfähig sein. Das setzt das Vorliegen besonderer Umstände voraus (BGH AGS 15, 152 = JurBüro 15, 197 – im konkreten Fall abgelehnt). Die Kosten für die Einschaltung eines Verkehrsanwalts im Revisionsverfahren sind ausnahmsweise erstattungsfähig, wenn durch den Verkehrsanwalt eine Übersetzung bzw. ein Dolmetscher erspart worden sind (Köln JurBüro 10, 37). Gleiches gilt, wenn der Verkehrsanwalt wegen seiner Kenntnisse des ausländischen Rechts in der Lage war, den Revisionsanwalt entsprechend zu informieren (Köln JurBüro 2010, 37).
Zum Anwalt in eigener Sache s Rn 7 ff.
Die Beauftragung des vorinstanzlichen Anwalts, die Übersendung der Handakten an den Rechtsmittelanwalt mit gutachterlichen Äußerungen zu verbinden, ist nicht notwendig, sodass die Gebühr der Anm. zu Nr. 3400 VV RVG grundsätzlich nicht erstattungsfähig ist.