Gesetzestext
(1) Die Räumung von Wohnraum darf durch einstweilige Verfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben angeordnet werden.
(2) Die Räumung von Wohnraum darf durch einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat.
(3) Ist Räumungsklage wegen Zahlungsverzugs erhoben, darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung auch angeordnet werden, wenn der Beklagte einer Sicherungsanordnung (§ 283a) im Hauptsacheverfahren nicht Folge leistet.
(4) In den Fällen der Absätze 2 und 3 hat das Gericht den Gegner vor Erlass einer Räumungsverfügung anzuhören.
A. Normzweck.
Rn 1
Es handelt sich um eine Ausnahmeregelung, die hinsichtlich der Räumung von Wohnraum den Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung stark einschränkt. Sie räumt dem Gläubiger wirksamen Rechtsschutz ein, wenn sich durch längeres Weiterverbleiben in der Wohnung die rechtswidrige Lage weiter verfestigt oder der Gläubiger in anderen Rechtsgütern bedroht wird. Die Bestimmung durchbricht den Grundsatz, dass eine einstweilige Verfügung nicht zur Befriedigung, sondern nur zur Sicherung des Gläubigers führen darf (HK-ZPO/Kemper Rz 1). Durch Art 4 Nr 11 des G zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten wurde mit Wirkung zum 1.1.02 dem bisherigen alleinigen Tatbestand der verbotenen Eigenmacht die Fallgruppe einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben hinzugefügt.
Die Bestimmungen in Abs 2–4, eingefügt mit Wirkung zum 1.5.13, sind Vermieterschutzvorschriften. Der auf Räumung klagende Vermieter soll davor geschützt werden, dass durch den Mieter in missbräuchlicher Weise Dritte in die Wohnung aufgenommen werden, die dem Vermieter unbekannt sind (BTDrucks 17/10485, 34). Dem Vermieter wird durch diese Vorschrift ermöglicht, ohne ein erneutes auf Räumung gerichtetes Hauptsacheverfahren gegen den Dritten betreiben zu müssen, allein auf der Grundlage des bereits ergangenen Titels einen Räumungstitel gegen den Dritten zu erlangen. Dieser formalisierte und vereinfachte Weg zu einem Räumungstitel findet seine Rechtfertigung darin, dass der Vermieter mangels Kenntnis nicht schon das Hauptsacheverfahren auf den Mitbesitzer erstrecken konnte (BTDrucks 17/10485, 34). Die in Abs 3 geregelte Räumungsverfügung nach Sicherungsanordnung ergänzt das in § 283a neugeschaffene Institut der Sicherungsanordnung und dient dem wirtschaftlichen Schutz des Vermieters.
B. Räumung von Wohnraum.
Rn 2
Der Begriff des Wohnraums ist nicht auf Mietwohnungen beschränkt (so Hamm MDR 80, 856), sondern erfasst – wie bei § 721 – auch andere Nutzungsverhältnisse (Musielak/Voit/Huber Rz 2a; Schuschke/Walker/Schuschke Rz 5; Zö/Vollkommer Rz 2). Zu welchem Zweck der Raum errichtet wurde, ist unerheblich. Ausschlaggebend ist die tatsächliche Nutzung als Wohnraum durch den Verfügungsschuldner (Schuschke/Walker/Schuschke Rz 5, aA LG Karlsruhe ZMR 05, 869; Musielak/Voit/Huber Rz 2a [vertragliche Zweckbestimmung]).
C. Abs 1.
I. Verbotene Eigenmacht.
Rn 3
Das Vorliegen verbotener Eigenmacht (§ 858 BGB) genügt als Verfügungsgrund, ein weiterer wesentlicher Nachteil ist nicht erforderlich (Schuschke/Walker/Walker Rz 6; Zö/Vollkommer Rz 2; aA LG Frankf NJW 80, 1758).
II. Konkrete Gefahr für Leib und Leben.
Rn 4
Dieser (alternative) Verfügungsgrund dient dem Schutz der Person vor körperlicher Gewalt (Art 2 II GG) und kodifiziert die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze (LG Bochum NJW-RR 90, 896 [LG Bochum 09.03.1990 - 5 S 22/90]; LG Braunschweig NJW-RR 91, 832 [LG Braunschweig 21.11.1990 - 3 T 44/90]). Die Gefahr darf nicht ganz unerheblich sein, Lebensgefahr ist aber nicht Voraussetzung (HK-ZPO/Kemper Rz 3; Börstinghaus NJW 14, 2225, 2226). Opfer kann nicht nur der Vermieter sein, sondern auch dessen Familienangehörige, Mitarbeiter (Börstinghaus NJW 14, 2225, 2226) sowie andere Mieter (LG München I NJW-RR 13, 14 [LG München I 10.10.2012 - 14 S 9204/12]).
III. Keine Räumungsfrist.
Rn 5
Bei Anordnung der Räumung kommt im Hinblick auf den Normzweck die Einräumung einer Räumungsfrist nach § 721 nicht in Betracht (LG Hamburg NJW-RR 93, 1233; Musielak/Voit/Lackmann § 721 Rz 2).
D. Abs 2, Abs 4.
Rn 6
Räumungsverfügung gegen Dritte. Die Vorschrift findet auf Gewerberaummietverhältnisse keine Anwendung (KG NJW 13, 3588; Celle MDR 15, 147; München NZM 15, 167; MDR 18, 427; LG Köln NJW 13, 3589; aA Dresd BeckRS 17, 134250; LG Hamburg NJW 13, 3666; LG Krefeld ZMR 16, 448). Gegen eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auch auf sonstige Mieträume steht bereits der klare Wortlaut der Norm, der ausdrücklich von der ›Räumung von Wohnraum‹ spricht. Auch die Gesetzessystematik steht der Anwendbarkeit der Bestimmung auf sonstige Mieträume entgegen, weil der Gesetzgeber der Vorschrift im Zuge des Mietrechtsänderungsgesetzes die amtliche Überschrift ›Räumung von Wohnraum‹ zugeordnet hat (Celle MDR 15, 147, 148 [OLG Celle 24.11.2014 - 2 W 237/14]).
I. Dritter im Besitz der Mietsache.
Rn 7
Dies ist jeder (Mit-)Besitzer d...