A. Begriff, Zweck und Funktion der Zwangsvollstreckung.
Rn 1
Die (Einzel-)Zwangsvollstreckung ist ein Verfahren, das die Rechtsordnung dem Gläubiger eines gerichtlich festgestellten oder förmlich dokumentierten Anspruchs zur Verfügung stellt, um diesen ggf mit Zwangsmitteln gegen die unberechtigte Leistungsverweigerung des Schuldners durchzusetzen und auf diese Weise Befriedigung der Forderung zu erlangen. Das Zwangsvollstreckungsverfahren ist Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols (BVerfGE 61, 126, 136 = NJW 83, 559). Es untersagt bis auf wenige gesetzlich geregelte Ausnahmen die eigenmächtige Rechtsverfolgung im Wege der privaten Selbsthilfe (zur verfassungswidrigen Selbsttitulierung durch öffentlichrechtliche Kreditinstitute BVerfGE 132, 372). Hat allein der Staat die Vollstreckungsgewalt inne, ist er auch gehalten, Gläubigern ein öffentlich-rechtliches Verfahren zur Befriedigung ihrer berechtigten Forderungen zur Verfügung zu stellen. Das ergibt sich aus dem Justizgewährungsanspruch des Bürgers. Das Zwangsvollstreckungsverfahren findet im Interesse des Gläubigers statt. Der Schuldner muss dessen Einleitung und Durchführung dulden. Die Belange des Schuldners werden iRd Zwangsvollstreckungsverfahrens geschützt (§§ 765a, 811 ff, 850 ff).
B. Rechtsgrundlagen der Zwangsvollstreckung.
Rn 2
Im achten Buch der ZPO ist die Zwangsvollstreckung aus bürgerlichrechtlichen Forderungen geregelt, deren Berechtigung von Zivilgerichten festgestellt wurde oder sonst förmlich dokumentiert worden ist. Die Zwangsvollstreckung findet also statt aus sog Vollstreckungsansprüchen, denen vollstreckbare zivilrechtliche Ansprüche iSv § 194 BGB zugrunde liegen. Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung sind Vollstreckungsarten, die im ZVG geregelt, aber über § 869 ua dem Vollstreckungsrecht der ZPO unterstellt sind. Soweit sich die Zwangsvollstreckung aus anderen Ansprüchen nach dem achten Buch der ZPO richtet, verweisen zahlreiche Verfahrensordnungen für die Durchführung der Zwangsvollstreckung auf die entsprechenden zivilprozessualen Vorschriften (§ 167 I 1 VwGO, § 198 I SGG, § 151 I 1 FGO, §§ 46a I, 62, 85 ArbGG). Auch in der freiwilligen Gerichtsbarkeit richtet sich die Zwangsvollstreckung bisweilen nach der ZPO (§§ 95 f FamFG). Insbesondere werden Ehesachen iSv § 121 FamFG und Familienstreitsachen iSv § 112 FamFG nach § 120 I FamFG entsprechend §§ 704–915h ZPO vollstreckt (zu den Besonderheiten Cirullies ZKJ 10, 174; zum Übergangsrecht Giers FPR 10, 74). Öffentlichrechtliche Ansprüche werden im Wege der Verwaltungsvollstreckung beigetrieben (zur Harmonisierung konkurrierender Vollstreckungsordnungen Kraus DGVZ 13, 29). Rechtsgrundlagen sind die Verwaltungsvollstreckungsgesetze des Bundes und der Länder. Ob ein Anspruch nach der ZPO zu vollstrecken ist oder nicht, richtet sich nicht nach der Rechtsnatur des zugrunde liegenden Anspruchs. Entscheidend ist vielmehr, ob der zu vollstreckende Titel nach Maßgabe der ZPO erlassen wurde (BGH NJW-RR 06, 645 [BGH 20.10.2005 - I ZB 3/05]).
C. Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung.
Rn 3
Die Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der ZPO ist stets Einzelzwangsvollstreckung. Das Gesamtvollstreckungsverfahren richtet sich dagegen nach den Vorschriften der InsO. Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht der Fortsetzung von Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner grds nicht entgegen. Jedoch kann das Insolvenzgericht bereits im Eröffnungsverfahren solche Maßnahmen untersagen (§ 21 II Nr 3 ZPO). Das Zwangsvollstreckungsverfahren wird jedoch durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein nicht unterbrochen. § 240 ist nicht einschlägig (BGHZ 172, 16 = NJW 07, 3132). Solange es jedoch andauert, besteht für Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung einzelner Insolvenzgläubiger nach § 89 I InsO ein Vollstreckungshindernis (s Rn 11). Wird allerdings die Vollstreckungsklausel, die eine allgemeine Voraussetzung der Einzelzwangsvollstreckung ist (s Rn 9), nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners erteilt, so ist das nicht bereits nach dieser Vorschrift unzulässig (BGH NJW 08, 918 [BGH 12.12.2007 - VII ZB 108/06]).
D. Zwangsvollstreckung und Erkenntnisverfahren.
Rn 4
Das Zwangsvollstreckungsverfahren ist vom Erkenntnisverfahren organisatorisch getrennt. Zwar ist die Vollstreckung aus einem Endurteil, das einen Rechtsstreit im Erkenntnisverfahren abschließt, der Regelfall, von dem auch das achte Buch der ZPO ausgeht (s § 704). Es ist jedoch nicht zwingend, dass der Zwangsvollstreckung ein Rechtsstreit vorausgeht (Zö/Seibel Vor § 704 Rz 13). Denn die Vollstreckung findet auch aus nichtrichterlichen Vollstreckungstiteln statt (s § 794). Gleichwohl ist die Zwangsvollstreckung ein zivilrechtliches Parteiverfahren. Mit dem zivilprozessualen Erkenntnisverfahren hat es einige Verfahrensgrundsätze gemeinsam. Sie gelten jedoch aufgrund des besonderen Charakters des Vollstreckungsverfahrens nur modifiziert. Das gilt namentlich für die Parteiherrschaft, die in der Vollstreckung eingeschränkt ist (Musielak/Lackmann Vor § 704 Rz 11). Zwar liegt das Initiativrecht für die Einleitung der Zwangsvollstreckung ebenso wie die Befugnis, das Verfahren zum Ruhen zu brin...