Rn 11

Bei den so bezeichneten Urteilen liegt in Wahrheit gar kein Urt, sondern nur der bloße Anschein vor (Lüke ZZP 108, 428, 439 mwN; R/S/G § 62 Rz 12), sodass das ›Urteil‹ unbeachtlich und wirkungslos ist (RGZ 120, 243, 245; 133, 215, 221); jede Partei kann Fortsetzung des Verfahrens beantragen (Lüke ZZP 108, 428). Formelle Rechtskraft tritt nicht ein (RGZ 133, 215, 220f). Ein Nichturteil liegt vor, wenn der Ausspruch bzw das Schriftstück nicht als Willensäußerung des Gerichts angesehen werden kann, weil es nicht von einem Richter oder nicht in Ausübung der Tätigkeit als Rechtspflegeorgan erlassen wurde, so zB, wenn ein ausgeschiedener Richter entscheidet (bea aber § 309 Rn 2, aA Jauernig DtZ 93, 173; Musielak/Musielak Rz 4) oder ein sonstiger Bediensteter des Gerichts, ein Richter in einer privaten Runde oder bei Gelegenheit einer Referendars-AG (Zö/Feskorn Rz 13; Musielak/Musielak § 300 Rz 4), nicht aber bei bloßen Besetzungsfehlern innerhalb des Spruchkörpers oder Gerichts. An einem Urt fehlt es auch, wenn das Schriftstück noch gar keine autorative Kraft entfalten sollte, so bei Zustellung eines bloßen Entwurfs (BGH NJW 95, 404; Zweibr OLGZ 87, 371, 372; Frankf NJW-RR 95, 511 [OLG Frankfurt am Main 07.12.1994 - 17 U 188/93]; § 310 Rn 8) oder wenn in Fällen des § 310 III die verkündungsersetzende Zustellung fehlt; umgekehrt erlangt ein Urt Wirksamkeit, das entgegen § 310 I 1 nicht verkündet, sondern zum Zwecke der Verlautbarung, also mit autorativem Verbindlichkeitsanspruch zugestellt wird (BGH NJW 04, 2019, 2020 [BGH 12.03.2004 - V ZR 37/03]).

Das ›Schein-/Nichturteil‹ darf mit Rechtsmitteln angegriffen werden, um den Anschein zu zerstören (BGHZ 32, 370, 375 = NJW 60, 1763, 1764; BGH NJW 95, 404; 96, 1969, 1970). Die Rechtsmittelinstanz muss ohne Prüfung des Begehrens in der Sache aufheben und zurückverweisen (Zweibr OLGZ 87, 371, 373). Nach Einlegung des Rechtsmittels darf die Vorinstanz nicht mehr durch Erlass eines neuen Urteils entscheiden (R/S/G § 62 Rz 19).

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