Einführung
Professor Dr. Martin Franzen ist seit 1.10.2015 Dekan der Juristischen Fakultät der Universität München. Seit 2004 ist er dort Inhaber des Lehrstuhls für deutsches, europäisches, internationales Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht. Ferner ist er Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages und des Verbandsausschusses des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes sowie Mitherausgeber der Europäischen Zeitschrift für Arbeitsrecht (EuZA). |
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Entgeltgleichheit durch ein Lohngerechtigkeitsgesetz?
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat am 9.12.2015 einen Referentenentwurf eines Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern vorgelegt. Kern dieses Gesetzentwurfs ist der Vorschlag eines "Gesetzes zur Förderung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern" (Entgeltgleichheitsgesetz, EntgGleiG), bestehend aus insgesamt 27 Paragraphen. Das Gesetz enthält zwei Verfahrensvorgaben für die Überprüfung von Entgeltgleichheit: einen individuellen Auskunftsanspruch und ein betriebliches Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit. Der individuelle Anspruch steht jedem Arbeitnehmer zu und ist gerichtet auf Auskunft über die Kriterien und Verfahren für die Festlegung des eigenen Entgelts, des Entgelts für eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit, die überwiegend von Angehörigen des anderen Geschlechts erbracht wird, sowie auf den statistischen Median des monatlichen Entgelts einer Gruppe von mindestens fünf Beschäftigten des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit. Ein betriebliches Verfahren zur Überprüfung von Entgeltgleichheit müssen alle Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten alle drei Jahre – tarifgebundene Unternehmen alle fünf Jahre – durchlaufen. Auf die Unternehmen wird also ein nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand zukommen. Der individuelle Auskunftsanspruch mag betriebliche "Neiddebatten" auslösen und ist nicht ganz kompatibel mit dem deutschen, allseits gelobten System überbetrieblicher Lohnfindung vor allem durch Branchentarifverträge.
Auf den ersten Blick fragt man sich, weshalb Deutschland ein solches Gesetz braucht. Das Gebot gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher und gleichwertiger Arbeit ist bereits seit Langem geltendes Recht (Art. 157 AEUV, § 7 AGG). Das BMFSFJ meint, dass dieses Entgeltgleichheitsgebot in der Praxis noch nicht verwirklicht worden ist: Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als Männer. In Deutschland beträgt diese sogenannte unbereinigte Lohnzahlungslücke ca. 22 %; sie wird errechnet aus der Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes der Männer und der Frauen dividiert durch den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst der Männer. Die unbereinigte Lohnzahlungslücke ist allerdings nicht gleichbedeutend mit unzulässiger Entgeltdiskriminierung im Sinne von Art. 157 AEUV, § 7 AGG. Es werden nämlich Ausstattungsmerkmale nicht berücksichtigt, welche die unterschiedliche Entlohnung erklären können, wie etwa Ausbildung, Berufserfahrung etc. Deshalb ist die bereinigte Lohnzahlungslücke wesentlich aussagekräftiger. Sie stellt auf den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen mit denselben individuellen und betriebsbezogenen Merkmalen pro Stunde ab und beträgt in Deutschland nach der Begründung des Referentenentwurfs des BMFSFJ 7 %.
Es ist allerdings äußerst fraglich, ob das Gesetz diese Lohnzahlungslücke wirklich verringern kann. Als Hauptursachen gelten nämlich primär die horizontale und vertikale Segregation des Arbeitsmarkts: Frauen sind in bestimmten Berufen, Branchen und auf höheren Hierarchieebenen vielfach unterrepräsentiert. Außerdem unterbrechen oder reduzieren Frauen ihre Erwerbstätigkeit häufiger und länger aus familienbedingten Gründen als Männer und versäumen daher Karriereschritte, die vergleichbare Männer typischerweise vollzogen haben. Aufschlussreich ist insoweit ein Blick nach Schweden: Dort gibt es bereits seit längerer Zeit ähnliche Regelungen, wie sie das BMFSFJ mit dem vorgelegten Referentenentwurf auch für Deutschland anstrebt. Die allein aussagekräftige bereinigte Entgeltzahlungslücke beträgt in Schweden aber immerhin 7 % (Statistics Sweden, Women and men in Sweden. Facts and figures 2012, October 2012, S. 76, abrufbar unter www.scb.se/statistik/_publikationer abgerufen am 30.1.2016), und ist daher etwa so hoch wie in Deutschland – obwohl Deutschland bislang auf unternehmensverbindliche Prüfverfahren zur Feststellung von Entgeltungleichheit verzichtet hatte.
Im Übrigen ist gerade der individuelle Auskunftsanspruch nicht geeignet, die gesetzgeberischen Ziele zu erfüllen. Nach Auffassung des BMFSFJ erleichtert dieser Anspruch die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebots. Der einzelne Arbeitnehmer soll hierdurch mit den Informationen versorgt werden, die er benötigt, um Entgeltungleichheit im Rechtssinne erkennen und dagegen – auch gerichtlich – vorgehen zu können. Die Informationen sollen also eine schlüssige Klage wegen En...