Einführung
BAG, Urteil vom 15.2.2005, 9 AZR 78/04
1 Leitsätze:
1. Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche sind Masseforderungen, auch soweit sie aus Kalenderjahren vor der Insolvenzeröffnung stammen.
2. Das gilt auch für tarifliche Urlaubsgeldansprüche, soweit sie vom Bestand des Urlaubsanspruchs abhängig sind.
3. Die Anmeldung von Masseforderungen zur Insolvenztabelle wahrt eine tarifliche Ausschlussfrist, die eine schriftliche Geltendmachung verlangt.
2 Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2000 und 2001 zusteht und der beklagte Insolvenzverwalter diesen als Masseforderung berichtigen muss.
Der Kläger war seit März 1977 bei der Druckerei E. S GmbH & Co. KG als Drucker in Wechselschicht tätig. Auf das Arbeitsverhältnis waren die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie anzuwenden. Der Manteltarifvertrag vom 1. 1. 1997 (MTV-Druck) enthält – ohne die Verweisungen auf Durchführungsbestimmungen – u. a. folgende Regelungen: ". . . § 10 Urlaub 1. Jeder Arbeitnehmer hat in einem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) unter Fortzahlung des Lohnes einmal Anspruch auf Gewährung des tariflichen Erholungsurlaubs (Jahresurlaub). 2. Für jeden Kalendermonat Beschäftigungsdauer im gleichen Betrieb besteht Anspruch auf ein Zwölftel des Urlaubs. . . . 5. Die Urlaubsbezahlung besteht aus dem Durchschnittslohn (a) und dem zusätzlichen Urlaubsgeld (b). Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Auszahlung einer angemessenen Pauschale bei Antritt seines Urlaubs. Die endgültige Abrechnung der Urlaubsbezahlung erfolgt zum Zeitpunkt der nächsten Lohnabrechnung. Durch Betriebsvereinbarung kann der Auszahlungszeitpunkt für das zusätzliche Urlaubsgeld abweichend von dieser Regelung festgelegt werden; z. B. einmal im Jahr vor Antritt des längeren Urlaubsabschnittes oder an einem bestimmten Tag einmal im Jahr für alle Arbeitnehmer. a) Grundlage für die Berechnung des Durchschnittslohnes ist der Durchschnittsverdienst der drei abgerechneten Lohnabrechnungsmonate oder der 13 abgerechneten Lohnwochen (Berechnungszeitraum), die der Lohnwoche, in der der Urlaub beginnt, vorausgehen. Zur Errechnung des Durchschnittslohnes je Urlaubstag wird bei einer 5-Tage-Woche der Bruttoverdienst des Berechnungszeitraumes (ausschließlich Überstundenbezahlung und Überstundenzuschläge, Zuschläge für Feiertagsarbeit und Antrittsgebühr) geteilt durch den Divisor 65. . . . b) Jedem Arbeitnehmer und Auszubildenden wird zum Durchschnittslohn bzw. zur Ausbildungsvergütung ein zusätzliches Urlaubsgeld für jeden tariflichen und gesetzlichen Urlaubstag bezahlt. Das zusätzliche Urlaubsgeld pro Urlaubstag beträgt 50 % des vereinbarten Tagesverdienstes. Es ergibt sich durch Vervielfachen des vereinbarten Stundenlohnes (§ 8 Ziff. 2) mit dem Faktor 3, 5; . . . 7. Abgeltung des Urlaubs ist unzulässig. Nur in dem Fall, dass das Arbeitsverhältnis während des Urlaubs beendet wird, oder wenn infolge Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub nicht oder nicht mehr voll gewährt werden kann, ist die Abgeltung des Urlaubs gestattet. 8. Urlaub oder Urlaubsteile, die nicht bis zum 31. 3. des folgenden Kalenderjahres geltend gemacht wurden, werden nicht gewährt. . . . § 15 Ausschlussfristen für die Geltendmachung tariflicher Ansprüche 1. Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag und den Lohntarifverträgen sind wie folgt geltend zu machen: a) . . . b) Sonstige tarifliche Geldansprüche innerhalb von 8 Wochen nach dem Zeitpunkt, an dem sie hätten erfüllt werden müssen. 2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter Ziffer 1 festgesetzten Fristen ist ausgeschlossen. 3. Ist ein tariflicher Anspruch rechtzeitig geltend gemacht und lehnt der andere Teil seine Erfüllung ab, muss der Anspruch innerhalb von 12 Wochen seit der ausdrücklichen Ablehnung rechtshängig gemacht werden. Eine spätere Klageerhebung ist ausgeschlossen. § 17 Durchführungsbestimmungen Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Manteltarifvertrag sind Bestandteil dieses Tarifvertrages. Sie enthalten nicht nur Erläuterungen, sondern auch den Stammtext ergänzende und ändernde Bestimmungen. Insoweit sind die Durchführungsbestimmungen selbständiges Tarifrecht." Die Durchführungsbestimmungen zu § 10 enthalten eine Anmerkung "(2)" zu § 10 Nr. 2 Satz 1 MTV-Druck. Deren Abs. 4 lautet: „Scheidet ein Arbeitnehmer im Laufe eines Kalenderjahres aus, bevor er seinen Urlaub für das betreffende Kalenderjahr erhalten hat, bekommt er vor seinem Ausscheiden den der abgelaufenen Zeit des Kalenderjahres entsprechenden Urlaubsanteil als bezahlten Urlaub oder bei seinem Ausscheiden eine geldliche Abfindung in Höhe der Urlaubsbezahlung, soweit der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gewährt werden kann.„
Im Oktober 2000 beantragte der Kläger, ihm den Resturlaub des Jahres 2000 von 8, 5 Tagen, im November oder Dezember 2000 zu erteilen. Sein Urlaubswunsch wurde vom zuständigen "Abteilungsleiter Druck" mit dem Hinweis auf Personalknappheit abgelehnt und ihm gleichzeitig klargemacht, bis zum 31. 3. 2001 ...