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BAG Urteil vom 03.06.1987 - 5 AZR 153/86

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschaftsurlaub. Auswirkung auf tarifliche Sonderzahlung

 

Orientierungssatz

Nach § 2 Nr 6 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens zwischen dem Verband metallindustrieller Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalens eV und der IG Metall vom 30.10.1976 verringert sich die Sonderzahlung anteilig um den Zeitraum, in dem das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht.

 

Normenkette

TVG § 1; MuSchG §§ 8c, 8a, 8b

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 06.02.1986; Aktenzeichen 9 Sa 1971/85)

ArbG Hamm (Entscheidung vom 21.08.1985; Aktenzeichen 3 Ca 653/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob eine tarifliche Sonderzahlung (13. Monatseinkommen) anteilig zu kürzen ist, weil die Klägerin Mutterschaftsurlaub genommen hatte.

Die Klägerin ist seit Oktober 1979 als Arbeiterin in der Uhrenmontage im Betrieb der Beklagten tätig. Sie war während des Jahres 1983 schwanger. Im Anschluß an die Schutzfrist nach der Geburt befand sie sich in den Monaten Februar, März, April und Mai 1984 im Mutterschaftsurlaub. Danach hat sie weitergearbeitet.

Die Parteien sind tarifgebunden. Die hier streitige Sonderzahlung beruht auf dem Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens, der zwischen dem Verband metallindustrieller Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalens e. V. und der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland am 30. Oktober 1976 abgeschlossen worden ist und der auszugsweise wie folgt lautet:

"§ 2

Voraussetzungen und Höhe der Leistung

1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am

Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw.

Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem

Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate

angehört haben, haben je Kalenderjahr einen

Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen.

...

4. Der Berechnung der Leistungen sind zugrunde

zu legen:

a) bei Arbeitern

der durchschnittliche Stundenverdienst der

letzten abgerechneten 13 Wochen bzw. der

entsprechenden Lohnabrechnungszeiträume

vor Auszahlung der Leistung, multipliziert

mit dem Faktor 173.

Der durchschnittliche Stundenverdienst errechnet

sich aus dem Gesamtverdienst in dem

betreffenden Zeitraum einschließlich Mehrarbeitsvergütung

und aller Zuschläge, jedoch

ohne Auslösung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle,

Urlaubsvergütung, zusätzliches

Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen des

Arbeitgebers und ähnliche Zahlungen sowie

einmalige Zuwendungen, geteilt durch die Zahl

der bezahlten Stunden ohne Mehrarbeits-,

Kranken- und Urlaubsstunden.

...

6. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer bzw. Auszubildende,

deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis,

im Kalenderjahr kraft Gesetzes

oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistungen.

Ruht das Arbeitsverhältnis bzw. das Ausbildungsverhältnis

im Kalenderjahr teilweise, so erhalten

sie eine anteilige Leistung.

Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen

Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens

der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung

zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen

Altersruhegeldes aus dem Beruf ausscheiden, erhalten

die volle Leistung."

Im Tarifvertrag findet sich darüber hinaus folgende "Protokollnotiz zu § 2 Ziffer 6":

"Es besteht Einigkeit darüber, daß Anspruchsberechtigte,

die unter das Mutterschutzgesetz

fallen, und erkrankte Anspruchsberechtigte,

nicht von § 2 Ziff. 6 Abs. 1 erfaßt werden."

Die Parteien streiten darüber, ob dieser Hinweis auf das Mutterschutzgesetz auch die erst zum 1. Juli 1979 inkraft getretene Regelung des Mutterschaftsurlaubs einschließt oder nicht.

Die Klägerin hätte bei ununterbrochener Beschäftigung im Jahre 1984 eine tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 1.064,98 DM zu beanspruchen. Das entspricht aufgrund betrieblicher Sonderregelung 60 % des Durchschnittsgehalts von 1.774,98 DM monatlich. Die Beklagte hat der Klägerin aber nur eine tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 710,-- DM gewährt und den darüber hinaus von ihr beanspruchten Differenzbetrag von 354,98 DM nicht gezahlt. Dieser Betrag entfällt rechnerisch unstreitig auf den Zeitraum des Mutterschaftsurlaubs.

Die Klägerin wendet sich gegen diese Kürzung und ist der Meinung, daß während des Mutterschaftsurlaubs das Arbeitsverhältnis nicht geruht habe, denn nach der Protokollnotiz hierzu seien Arbeitnehmerinnen davon ausgenommen, die unter das Mutterschutzgesetz fielen. Damit seien alle Regelungen des Mutterschutzgesetzes in seiner jeweils geltenden Fassung gemeint, und das schließe auch den später erst in das Gesetz eingefügten Mutterschaftsurlaub als Ruhenstatbestand aus.

Die Klägerin hat daher beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 354,98 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 17. April 1985 an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hierzu die Auffassung vertreten, daß Zeiten des Mutterschaftsurlaubs nach § 2 Nr. 6 des Tarifvertrages anspruchsmindernd wirkten. Hieran ändere der Wortlaut der Protokollnotiz nichts. Mit dem allgemeinen Hinweis auf das Mutterschutzgesetz könne nur das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während der Schutzfristen gemeint sein, denn den Tarifvertragsparteien sei bei Abschluß des Tarifvertrages der später erst eingeführte Mutterschaftsurlaub unbekannt gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klägerin kann keinen Anspruch auf den um die Zeit des Mutterschaftsurlaubs gekürzten Teil der tariflichen Sonderzahlung aus dem Tarifvertrag in der zur Zeit geltenden Fassung herleiten.

I. Nach § 2 Nr. 6 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 verringert sich die Sonderzahlung anteilig um den Zeitraum, in dem das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht.

1. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin hat während des Mutterschaftsurlaubs geruht, weil die Hauptleistungspflichten im fortbestehenden Arbeitsverhältnis beiderseits nicht erbracht worden sind (vgl. BAGE 40, 214, 218 = AP Nr. 113 zu § 611 BGB Gratifikation, zu I 2 b, cc der Gründe). Die Arbeitnehmerin geht nämlich während des Mutterschaftsurlaubs keiner Erwerbstätigkeit nach (§ 8 b MuSchG) und der Arbeitgeber hat für die fehlende Arbeitsleistung der Mutter keine Gegenleistung zu erbringen. Während des Mutterschaftsurlaubs erhält die Arbeitnehmerin Mutterschaftsgeld (§ 13 Abs. 1 und 3 MuSchG) ohne Zuschuß des Arbeitgebers nach § 14 MuSchG.

2. Allerdings mindert sich nach dem Wortlaut des Tarifvertrages die Sonderzahlung nicht allgemein im Fall des Ruhens, sondern nur im Fall des Ruhens kraft Gesetzes oder Vereinbarung. Der Mutterschaftsurlaub wird aber nicht kraft Gesetzes gewährt, sondern auf Verlangen der Arbeitnehmerin (§ 8 a Abs. 2 MuSchG), wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Ebensowenig beruht er auf einer Vereinbarung, denn der Arbeitgeber braucht nicht zuzustimmen. Im Fall des Mutterschaftsurlaubs kommt es vielmehr zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses durch einseitiges Verlangen und nicht kraft Gesetzes, wenn auch auf gesetzlicher Grundlage.

3.a) Einen solchen Fall des Ruhens durch Ausübung des der Arbeitnehmerin zustehenden Wahlrechts kennt der Tarifvertrag nicht. Tarifverträge sind wie Gesetze auszulegen; dabei ist zunächst vom Wortlaut auszugehen und sodann der Sinn und Zweck der Tarifnorm zu ermitteln. Danach ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen (BAG Urteil vom 30. September 1971 - 5 AZR 123/71 - AP Nr. 121 zu § 1 TVG Auslegung, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 9. Juli 1980 - 4 AZR 560/78 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge Seeschiffahrt; BAGE 40, 221, 224 = AP Nr. 114 zu § 611 BGB Gratifikation, zu I 1 a der Gründe). Hieraus ergibt sich nun aber nicht, daß alle Ruhenstatbestände kraft Gesetzes und Vereinbarung zur entsprechenden Minderung der Sonderzahlung führen, jedoch nicht der Mutterschaftsurlaub. Eine solche Regelung haben die Tarifvertragsparteien gar nicht treffen können, weil es den Mutterschaftsurlaub bei Abschluß des Tarifvertrages im Jahre 1976 noch nicht gab und auch nicht erkennbar war, daß er im Jahre 1979 eingeführt werden würde. Noch weniger konnten sie die Ausgestaltung des Mutterschaftsurlaubs voraussehen. Deshalb ist eine Lücke im Tarifvertrag entstanden. Eine solche setzt voraus, daß aus den tariflichen Bestimmungen der Wille der Tarifvertragsparteien erkennbar wird, für den angegebenen räumlichen, persönlichen, fachlichen oder betrieblichen Geltungsbereich eine abschließende Regelung zu schaffen (BAG Urteil vom 13. Juni 1973 - 4 AZR 445/72 - AP Nr. 123 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 40, 214, 219 f. = AP Nr. 113 zu § 611 BGB Gratifikation, zu I 3 b der Gründe). Davon ist hier auszugehen, weil die Tarifvertragsparteien alle seinerzeit bekannten Ruhenstatbestände und ihre Auswirkungen auf den Anspruch auf die Jahressonderleistung umfassend regeln wollten. Den Tarifvertragsparteien waren nur Ruhenstatbestände kraft Gesetzes (Grundwehr- und Ersatzdienst oder länger dauernde Wehrübungen) oder durch Vereinbarung (z. B. unbezahlter Urlaub) bekannt. Die Tarifvertragsparteien haben sich nicht darauf beschränkt, einzelne Fallgruppen dieser Ruhenstatbestände aufzuzählen, sondern sie haben eine generelle Regelung aller bekannten Ruhenstatbestände geschaffen. Deshalb ist anzunehmen, daß sie auch später erst kraft Gesetzes neu geschaffene Tatbestände des Ruhens erfaßt hätten.

b) Anders als bei bewußten Tariflücken kommt in derartigen Fällen eine Lückenfüllung durch Urteil grundsätzlich in Betracht (vgl. statt vieler: BAGE 47, 61, 67 = AP Nr. 95 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Vorliegend sind die Gerichte jedoch nicht befugt, die Regelungslücke im Wege einer ergänzenden Auslegung zu schließen, weil den Tarifvertragsparteien hierfür verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und sie sich aufgrund ihrer Tarifhoheit für eine hiervon selbst entscheiden müssen. Ein Tätigwerden der Gerichte bedeutete, daß sie verfassungswidrig in die Tarifautonomie eingriffen (vgl. BAGE 36, 218, 225, 226 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; Urteil vom 10. Dezember 1986 - 5 AZR 517/85 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Hier bestehen verschiedene Möglichkeiten, wie der Tarifvertrag ergänzt werden kann, denen die Gerichte nicht vorgreifen dürfen. Die Tarifvertragsparteien können ausdrücklich den Mutterschaftsurlaub so behandeln wie andere Ruhentatbestände kraft Gesetzes oder durch Vereinbarung. Andererseits könnten sie eine Sonderregelung schaffen, wonach die Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses sich anspruchsmindernd auswirken, dieses aber nicht für den Mutterschaftsurlaub gelten soll. Außerdem sind Regelungen denkbar, daß bestimmte Zeiträume des Mutterschaftsurlaubs erfaßt oder nicht erfaßt werden. Außerdem müßten die Tarifvertragsparteien bestimmen, ab wann die ergänzende Regelung des Tarifvertrages inkraft tritt. Nachdem am 1. Januar 1986 das Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BErzGG) vom 6. Dezember 1985 (BGBl. I S. 2154) inkraft getreten ist, haben die §§ 15 bis 21 BErzGG den bisher in den §§ 8 a bis 8 d MuSchG geregelten Mutterschaftsurlaub durch einen anders ausgestalteten Erziehungsurlaub abgelöst. Das müßte bei einer Neuregelung ebenfalls berücksichtigt werden.

II. Die Klägerin kann aus der "Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 6" nichts für sich herleiten. Zwar haben die Tarifvertragsparteien in dieser Protokollnotiz erklärt, es bestehe Einigkeit darüber, "daß Anspruchsberechtigte, die unter das Mutterschutzgesetz fallen", ebenso wie erkrankte Anspruchsberechtigte nicht von § 2 Ziff. 6 Abs. 1 erfaßt werden. Diese Protokollnotiz ist Bestandteil des Tarifvertrages, weil sie schriftlich abgefaßt ist und die sonstigen Bedingungen des Gesetzes für den Tarifvertrag erfüllt (BAGE 40, 214, 217 = AP Nr. 113 zu § 611 BGB Gratifikation, zu I 2 a der Gründe). Die Klägerin kann allerdings geltend machen, daß sie im Zeitraum des Mutterschaftsurlaubs dem Mutterschutzgesetz unterlag. Andererseits kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß den Tarifvertragsparteien beim Abschluß des Tarifvertrages der Mutterschaftsurlaub unbekannt war. Entscheidend ist jedoch, daß diese Protokollnotiz sich - worauf es hier ankommt -, im Bereich des Mutterschutzgesetzes gar nicht auf einen Ruhenstatbestand bezieht. Denn während der Mutterschutzfristen vor und nach der Geburt ruht das Arbeitsverhältnis nicht. Deshalb muß diese Protokollnotiz nur als Klarstellung für die Tarifunterworfenen verstanden werden, daß Fehlzeiten durch Krankheit und die Mutterschutzfristen - obwohl insoweit keine Ruhenstatbestände vorliegen - nicht zur Minderung eines anteiligen 13. Gehalts führen. Dieser Hinweis der Tarifvertragsparteien in der Protokollnotiz kann unter diesen Umständen nur so verstanden werden, daß einer falschen Tarifanwendung - nämlich durch diese Klarstellung - vorgebeugt werden soll.

III. Die Klägerin macht geltend, daß im Bereich der bayerischen Metallindustrie durch Schiedsspruch vom 21. Dezember 1979 der § 2 Ziff. 6 Abs. 1 der für dieses Tarifgebiet gleichlautenden Regelung für die Tarifpartner bindend so ausgelegt worden sei, daß sich der Mutterschaftsurlaub nicht anspruchsmindernd auf die tarifliche Sondervergütung auswirke. Der Schiedsspruch ist aber für diesen Rechtsstreit nicht maßgebend, weil er ein anderes Tarifgebiet betrifft. Ob den Parteien des hier anzuwendenden Tarifvertrages eine entsprechende Schlichtungsmöglichkeit zur Verfügung steht oder nicht, kann offenbleiben, solange sie jedenfalls von den Tarifpartnern nicht genutzt wird.

Dr. Thomas Schneider Dr. Olderog

Scherer Dr. Schönherr

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439793

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