Rz. 9
In aller Regel ist die Geschäftsleitung am Ort des kaufmännischen Zentralbüros bzw. des Büros des Geschäftsführers anzunehmen, nicht in der technischen Zentrale. Eine Kapitalgesellschaft muss am Ort der Geschäftsleitung nicht notwendigerweise eigene Büroräume unterhalten. Das gilt insbesondere dann, wenn die entscheidenden Beschlüsse von mehreren gleichberechtigten Personen getroffen werden (i. d. R. nur eine Geschäftsleitung, wenn die für die Willensbildung hinsichtlich der laufenden Geschäfte bedeutsamste Stelle ermittelt werden kann (Rz. 2), aber auch bei nur einem vertretungsbefugten Geschäftsführer einer GmbH. So kann auch die Anmietung eines sog. Coworking-Spaces zur Begründung des Orts der Geschäftsleitung und damit einhergehend zu einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte führen, wenn in dem Coworking-Space Tätigkeiten der Geschäftsleitung erfolgen.
Werden keine Büroräume unterhalten, ist der gewöhnliche, laufende Treffpunkt der mehreren gleichberechtigten Personen für die Beschlussfassung entscheidend. Es spricht eine Vermutung dafür, dass die Geschäftsleitung von der oder den hierfür satzungsgemäß berufenen Person(en) ausgeübt wird. Im Einzelfall und gerade im Zuge der zunehmenden Digitalisierung nach den Erfahrungen durch die Covid-19 Pandemie kann auch ein Homeoffice ausreichend sein. Erforderlich ist aber, dass dort Tätigkeiten der Geschäftsleitung wahrgenommen werden. Das "bloße" Tätigwerden von Arbeitnehmern ohne jegliche geschäftsführende Leitungsaufgaben genügt nicht. Die Beweislast für hiervon abweichende Verhältnisse hat deshalb derjenige, der sich auf solche beruft. Im Einzelfall kann/können auch eine/mehrere andere Personen als die satzungsmäßig berufenen Geschäftsführer die Leitungsmacht faktisch innehaben. Hierfür kommen z. B.
- beherrschende Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft,
- handelsrechtlich bestellte Vertreter (z. B. Prokuristen), oder
- Mitglieder des Aufsichtsrats oder eines Beirats in Betracht.
Eine faktische – von der gesellschaftsrechtlich vereinbarten Geschäftsführung abweichende – Geschäftsführung, liegt allerdings nur (ausnahmsweise) vor, wenn der Dritte die dem Geschäftsführer üblicherweise obliegenden Aufgaben an sich zieht und die Tagespolitik des Unternehmens durch seine Entscheidungen dauerhaft bestimmt. Dies setzt voraus, dass sie den laufenden Geschäftsgang nicht nur beobachten, kontrollieren und fallweise beeinflussen, sondern ständig in die Tagespolitik der Gesellschaft eingreifen und dauernd die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erforderlichen Entscheidungen von einigem Gewicht selbst treffen. Für einen Durchgriff auf die Tagesgeschäfte der Gesellschaft genügt demnach noch nicht ein dauerhafter Informationsfluss und eine damit einhergehende gewisse Kontrolle.
Erforderlich ist vielmehr, dass die durch den Dritten wahrgenommenen maßgeblichen Leitungstätigkeiten die durch den bestellten Geschäftsführer wahrgenommenen Tätigkeiten im Hinblick auf das Tagesgeschäft maßgeblich überwiegen. Ein durch einen faktischen Geschäftsführer begründeter Ort der Geschäftsleitung ist daher ein Ausnahmefall.