Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 08.08.2002; Aktenzeichen 1 L 269/01) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. August 2002 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Beschwerde ist unzulässig. Der behauptete Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht habe gegen seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Einen Verstoß sieht sie in der Ablehnung von zwei unbedingt gestellten Beweisanträgen und der Nichterhebung zusätzlicher Beweise über die Gewährleistung eines wirtschaftlichen Existenzminimums für den Kläger im Nordirak, den das Berufungsgericht als geeignete inländische Fluchtalternative für den aus dem Zentralirak stammenden Kläger einstuft. Das Gericht habe die Erhebung ergänzender Beweise zu den aus der Erkenntnismittelliste verwerteten Gutachten und Auskünften abgelehnt, obwohl der Kläger eine weitere Auskunft sowie ein Sachverständigengutachten unbedingt beantragt und die Unterlassung entsprechender Beweiserhebungen im Hinblick auf die Versorgung der Flüchtlinge mit Lebensmitteln im Nordirak in einem Parallelverfahren zur Aufhebung der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht geführt habe (Beschluss vom 31. Juli 2002 – BVerwG 1 B 128.02 – InfAuslR 2002, 455). Eine weitere Beweiserhebung habe auch nicht deshalb unterbleiben können, weil das Berufungsgericht einen Vergleich der Lebensbedingungen im Nordirak mit denen im Zentralirak angestellt habe und zum Ergebnis gekommen sei, die wirtschaftlichen Lebensverhältnisse im Nordirak seien für zurückkehrende Flüchtlinge mit Herkunft aus dem Zentralirak nicht schlechter als in ihrem Herkunftsgebiet (UA S. 10/ 11). Das Gericht habe einen fehlerhaften Vergleichsmaßstab angelegt, der den Kriterien im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2002 widerspreche. Mit ihrem Vorbringen vermag die Beschwerde eine Revisionszulassung wegen eines Aufklärungsmangels nicht zu erreichen.
Zu der als fehlerhaft gerügten Ablehnung der zwei Beweisanträge teilt die Beschwerde die Ablehnungsbegründung des Gerichts mit, ohne sich mit ihr prozessrechtlich im Einzelnen auseinander zu setzen und die Unzulässigkeit der Ablehnung in Bezug auf die gegebene Begründung aufzuzeigen. Mit den umfangreichen Ausführungen dazu, dass die beigezogenen und verwerteten Erkenntnismittel „Mängel aufweisen, die die Sachverhaltsfeststellungen nicht tragfähig erscheinen lassen” (Beschwerdebegründung S. 3 ff.) bzw. dass sie „nach den obigen Ausführungen nicht mangelfrei” seien, sich „zudem im Vergleich zueinander” widersprächen (a.a.O. S. 10), wird der Sache nach lediglich die freie richterliche Beweiswürdigung angegriffen. Ein Mangel der Erkenntnismittel, der zur Einholung weiterer Gutachten verpflichtet hätte, wird damit nicht dargetan. Die Beschwerde verkennt, dass es grundsätzlich dem Tatrichter obliegt zu beurteilen, ob die verwerteten Erkenntnismittel eine hinreichend verlässliche Tatsachenfeststellung zur vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) ergeben. Unter Zugrundelegung seiner materiellen Rechtsauffassung brauchte das Gericht die vom Kläger beantragten ergänzenden Beweise zur Versorgungslage im Nordirak außerdem nicht zu erheben, da es wegen der von ihm festgestellten gleich schlechten oder noch schlechteren Versorgungslage im Zentralirak darauf nicht ankam. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats verpflichtet der Grundsatz der Amtsermittlung nicht zur Erhebung von Beweisen, die für die Entscheidung des Rechtsstreits aus Sicht des erkennenden Gerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt von Bedeutung sind. Der Vorwurf eines fehlerhaften Verfahrens ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Berufungsgericht nicht so verfahren ist, wie es bei Zugrundelegung seiner eigenen materiellrechtlichen Auffassung geboten war (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 18. Juni 1996 – BVerwG 9 B 140.96 – Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 16).
Welche Maßstäbe für den auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzustellenden Vergleich zwischen den Lebensbedingungen im verfolgungsfreien Gebiet und im Herkunftsgebiet (vgl. Urteil vom 9. September 1997 – BVerwG 9 C 43.96 – BVerwGE 105, 204 ≪211 ff.≫) anzulegen sind, ist eine Frage des materiellen Rechts und nicht des Verfahrensrechts. Das angefochtene Urteil vergleicht bei einem unverfolgt ausgereisten Flüchtling, als den es den Kläger ansieht (UA S. 5, 11), die gegenwärtige wirtschaftliche Situation im Nordirak mit der im Zentralirak. Bei diesem Vergleich, den das Gericht unter mehreren Gesichtspunkten vornimmt, kommt es zu der tatrichterlichen Feststellung, dass die Lebensbedingungen im Nordirak bei generalisierender Betrachtungsweise gegenwärtig jedenfalls nicht schlechter, sondern eher besser seien als im Zentralirak. Diese Annahme trägt die rechtliche Folgerung, dass eine Fluchtalternative im Nordirak nicht im Hinblick auf die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums ausgeschlossen ist.
Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der vom Berufungsgericht für nicht Vorverfolgte gewählte Vergleichsmaßstab mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Einklang steht. Wie der Senat schon in seinem Urteil vom 9. September 1997 (a.a.O. S. 212) ausgeführt hat, hängt der Zeitpunkt für den Vergleich der einander gegenüberzustellenden wirtschaftlichen Situationen davon ab, für welchen Zeitpunkt die Frage des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative zu beantworten ist. War ein Ausländer bereits vorverfolgt ausgereist, kommt es für die Erheblichkeit einer wirtschaftlichen Notlage im verfolgungssicheren Gebiet darauf an, ob eine derartige Notlage im Zeitpunkt der Ausreise auch am Herkunftsort bestanden hat. Ist dies zu bejahen, ist eine Notlage im Gebiet der Fluchtalternative nicht verfolgungsbedingt. Ist nach den bindenden Feststellungen des zweitinstanzlichen Tatsachengerichts hingegen – wie hier – davon auszugehen, dass der Ausländer nicht vorverfolgt ausgereist ist und es nur um die Frage geht, ob ihm gegenwärtig bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Verfolgungsgefahr droht, muss die wirtschaftliche Lage im verfolgungsfreien Gebiet mit der Lage verglichen werden, die im Zeitpunkt der Rückkehr am Herkunftsort besteht. Besteht im Herkunftsgebiet eine entsprechende Notlage wie im verfolgungsfreien Gebiet des Heimatstaates, kommt nach der Rechtsprechung des Senats die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht in Betracht. Denn die den Ausländer am verfolgungssicheren Ort des Heimatstaates erwartende wirtschaftliche Not ist dann nicht verfolgungsbedingt und würde ihn gegenwärtig auch am Herkunftsort treffen (Urteil vom 9. September 1997 a.a.O.). Dem widerspricht der Beschluss des Senats vom 31. Juli 2002 – BVerwG 1 B 128.02 – a.a.O. nicht. Die Beschwerde erkennt nicht, dass der beschließende Senat in jenem Verfahren eine Vorverfolgung unterstellt hat, weil das Oberverwaltungsgericht insoweit keine abschließenden Feststellungen getroffen und sich hiermit bei der Prüfung der Fluchtalternative nicht befasst hatte.
Gemessen an diesen Grundsätzen zeigt die Beschwerde eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht auch nicht dadurch auf, dass sie das Fehlen nachprüfbarer und nachvollziehbarer Feststellungen zu den Lebensbedingungen des Klägers im Zentralirak vor seiner Ausreise rügt (Beschwerdebegründung S. 11). Denn derartige Feststellungen waren unter Zugrundelegung des vom Gericht gewählten materiellrechtlichen Vergleichsmaßstabs nicht entscheidungserheblich. Eine weitere Aufklärungsrüge etwa dazu, dass das Berufungsgericht beantragte oder sich ihm aufdrängende Beweiserhebungen über relevante Unterschiede in der Versorgungslage zwischen dem Nordirak und dem Zentralirak unterlassen hätte, erhebt die Beschwerde nicht. Sie legt nicht einmal dar, dass der Kläger im Zentralirak tatsächlich in besseren Verhältnissen gelebt hat.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Hund, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen