Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Aktenzeichen 9 BA 96.30508) |
Tenor
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Mai 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Sie hat allerdings keinen Erfolg mit den geltend gemachten Grundsatz- und Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1, 2 VwGO). Die in verschiedener Hinsicht aufgeworfene Frage, ob das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Aussage eines Zeugen oder Prozessbeteiligten ohne mündliche Verhandlung abweichend von der Vorinstanz beurteilen kann, ist, wie die folgenden Ausführungen zu der erfolgreichen Verfahrensrüge zeigen, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt. Darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Die auf Seite 6 der Beschwerdebegründung weiter aufgeworfene Frage zur ausreichenden Begründung einer Gefahrenprognose durch das Gericht unter Einbeziehung früherer Gerichtsentscheidungen geht von einer Begründung aus, die nicht der des angefochtenen Beschlusses entspricht. Schon deshalb könnte diese Frage keiner Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zugeführt werden. Die geltend gemachte Divergenz von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Januar 1999 ist nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt (zu diesen Anforderungen vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26 = NJW 1997, 3328).
Die Beschwerde rügt dagegen zu Recht als verfahrensfehlerhaft (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), dass das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit des Klägers hinsichtlich einzelner Aussagen abweichend vom Verwaltungsgericht beurteilt hat, ohne sich persönlich einen Eindruck von seiner Glaubwürdigkeit verschafft zu haben. Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbstständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht jedoch dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für die Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. Beschluss vom 28. April 2000 – BVerwG 9 B 137.00 – AuAS 2000, 148; Beschluss vom 27. Januar 2000 – BVerwG 9 B 613.99 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 228; Urteil vom 29. Juni 1999 – BVerwG 9 C 36.98 – BVerwGE 109, 174 ≪179≫; Beschluss vom 14. Juni 1999 – BVerwG 7 B 47.99 – ≪juris≫). Tut es dies dennoch, weil es nach § 130 a VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, übt das Berufungsgericht das ihm in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen, im vereinfachten Berufungsverfahren zu entscheiden, fehlerhaft aus und verstößt damit zugleich gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).
Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht die Frage, ob der Kläger wegen erlittener oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung aus Äthiopien ausgereist ist, nicht wegen fehlender Glaubwürdigkeit des Klägers abweichend vom Verwaltungsgericht beurteilen dürfen.
Das Verwaltungsgericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung u.a. zu seinem Vorfluchtschicksal gehört (Niederschrift vom 17. Mai 1995, S. 4 f., Bl. 74 der VG-Akte). Es ist danach zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger vorverfolgt aus Äthiopien ausgereist sei (UA S. 6). Dies hat es u.a. mit einem kurzen Hinweis auf die vom Kläger vorgelegten Unterlagen, im Übrigen aber nicht näher begründet, worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist (BA S. 5). Ganz offensichtlich hatte das Verwaltungsgericht hierbei jedoch keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers und danach an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu den Geschehnissen vor seiner Ausreise aus Äthiopien, von deren Richtigkeit insgesamt es in seinen Entscheidungsgründen ausgeht (UA S. 6 ff.).
Das Berufungsgericht ist demgegenüber zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger Äthiopien im Juli 1992 nicht wegen erlittener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen habe (BA S. 5). Hierbei hat es dem Vortrag des Klägers, er habe im Juni 1992 eine Vorladung des Polizei- und Kriminaluntersuchungsamtes des Innenministeriums der äthiopischen provisorischen Regierung erhalten und sich daraufhin wegen der begründeten Furcht vor Verfolgung zur Flucht entschlossen, nicht geglaubt. Es hat dies damit begründet, dass der Kläger diesen Umstand erstmals im Klageverfahren, nicht aber schon bei seiner Befragung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vorgebracht habe. Dieses verspätete Vorbringen zu einem auch aus seiner Sicht wesentlichen Umstand könne nur zwei Ursachen haben. Entweder sei eine solche Vorladung an den Kläger überhaupt nicht ergangen oder er habe ihr nicht die Bedeutung einer persönlichen Bedrohung beigemessen. Dass er die Vorladung im Gegensatz zu einer späteren Vorladung vom 29. September 1992 nicht vorlegen könne, spreche allerdings für die erste Alternative (BA S. 6).
Damit stützt sich das Berufungsgericht letztlich tragend – da es offen lässt, welche der beiden in Erwägung gezogenen Begründungen durchgreift – darauf, dass die vom Kläger behauptete Vorladung vom Juni 1992 in Wahrheit nicht ergangen sei. Der Sache nach hält es den Kläger demzufolge jedenfalls in diesem Punkt für unglaubwürdig, auch wenn das in den Beschlussgründen nicht ausdrücklich so formuliert wird. Denn die Überzeugung, dass es die behauptete Vorladung vom Juni 1992 nicht gegeben habe, kann nicht damit begründet werden, dass diese Tatsache in einem unauflösbaren Widerspruch zu anderem Vorbringen des Klägers oder sonst festgestellten Tatsachen stehe. Der Inhalt der späteren Vorladung vom 29. September 1992, in der davon die Rede ist, dass der Kläger einer früheren Vorladung nicht Folge geleistet habe (Bl. 8 der Berufungsakten) – hierauf geht das Berufungsgericht nicht näher ein –, spricht im Gegenteil für die Existenz der Vorladung vom Juni 1992. Das Berufungsgericht konnte sie daher nur mit der fehlenden Glaubwürdigkeit des Klägers jedenfalls in diesem Punkt in Abrede stellen. Dies war dem Berufungsgericht nach den vorstehenden Grundsätzen indes verwehrt. Es wäre hier seine Aufgabe gewesen, sich einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Klägers zu verschaffen und hierbei Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten in seinem bisherigen Vortrag nachzugehen.
Auf diesem Verfahrensmangel beruht auch die Entscheidung. Falls das Berufungsgericht bei der Anhörung des Klägers zu der Überzeugung gelangen sollte, dass er wegen erlittener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung geflohen ist, könnte dies bei der dann gebotenen Anlegung des so genannten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu einer anderen Beurteilung des Klagebegehrens führen. Denn das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Gefährdung nach Äthiopien zurückkehrender EPRP-Mitglieder nicht übereinstimmend eingeschätzt werde und nicht prominenten Exilpolitikern, wie dem Kläger, Verfolgung jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe (BA S. 10, 14 ff.).
Da die Beschwerde schon wegen des festgestellten Verfahrensmangels Erfolg hat, kommt es auf die weiteren Verfahrensrügen – die im Übrigen ohne Erfolg geblieben wären – nicht an.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Dr. Eichberger
Fundstellen