Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, wie sie in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Interne Organisation der Mitgliedstaaten. Gebietskörperschaften. Rechtsinstrument zur Gründung einer neuen Einrichtung des öffentlichen Rechts und zur Regelung der Übertragung von Befugnissen und Zuständigkeiten im Hinblick auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Öffentliche Aufträge. Begriff ‚öffentlicher Auftrag’
Normenkette
EUV Art. 4 Abs. 2; Richtlinie 2004/18/EG Art. 1 Abs. 2 Buchst. a
Beteiligte
Remondis GmbH & Co. KG Region Nord |
Tenor
Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass es sich bei einer Vereinbarung zwischen zwei Gebietskörperschaften, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht und auf deren Grundlage diese eine Satzung über die Gründung eines Zweckverbands – einer juristischen Person des öffentlichen Rechts – erlassen und dieser neuen öffentlichen Einrichtung Befugnisse zuweisen, die bisher diesen Körperschaften oblagen und fortan zu eigenen Aufgaben dieses Zweckverbands werden, nicht um einen öffentlichen Auftrag handelt.
Eine solche die Erfüllung öffentlicher Aufgaben betreffende Kompetenzübertragung liegt jedoch nur vor, wenn die Übertragung sowohl die mit der übertragenen Kompetenz verbundenen Zuständigkeiten als auch die damit einhergehenden Befugnisse betrifft, so dass die neuerdings zuständige öffentliche Stelle über eine eigene Entscheidungsbefugnis und eine finanzielle Unabhängigkeit verfügt. Das vorlegende Gericht wird zu prüfen haben, ob dies der Fall ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Celle (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. Dezember 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Februar 2015, in dem Verfahren
Remondis GmbH & Co. KG Region Nord
gegen
Region Hannover,
Beteiligter:
Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen und der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan sowie D. Šváby (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Remondis GmbH & Co. KG Region Nord, vertreten durch Rechtsanwälte M. Figgen und R. Schäffer,
- der Region Hannover, vertreten durch Regionspräsident H. Jagau, durch R. Van der Hout, advocaat, sowie durch Rechtsanwälte T. Mühe und M. Fastabend,
- des Zweckverbands Abfallwirtschaft Region Hannover, vertreten durch Rechtsanwälte W. Siederer und L. Viezens,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und J. Bousin als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker und A. Tokár als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Juni 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114, berichtigt im ABl. 2004, L 351, S. 44).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Remondis GmbH & Co. KG Region Nord (im Folgenden: Remondis) und der Region Hannover (Deutschland) über die Rechtmäßigkeit der Übertragung von Aufgaben der Abfallentsorgung und -bewirtschaftung, mit denen die Region Hannover betraut war, auf den Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover (im Folgenden: Zweckverband RH).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Nach dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 sind für die Zwecke dieser Richtlinie „‚öffentliche Aufträge’ … zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie”.
Rz. 4
Durch die Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und die Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65) wurde die Richtlinie 2004/18 mit Wirkung zum 18. April 2016 aufgehoben.
Rz. 5
Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 heißt es:
„Die zunehmende Vielfalt öffentlicher Tätigkei...