Leitsatz (amtlich)
1. Die Infektion mit einem multiresistenten Erreger begründet weder per se eine Haftung der Klinik noch stellt sie ein Indiz für eine mangelhafte Behandlung dar. Der Arzt schuldet dem Patienten keinen absoluten Schutz vor Infektionen, den niemand bieten kann. Der Arzt haftet nur, wenn er den von ihm zu fordernden Qualitätsstandard unterschreitet und dies auch ursächlich für eine Schädigung des Patienten ist.
2. Eine räumliche Separierung im Sinne einer Umkehrisolierung kommt bei Patienten in Betracht, die hochgradig infektanfällig sind, sei es wegen einer Immunsubpression, einer Brandverletzung oder wegen einer Immunschwächekrankheit. Dies ist nicht schon bei Diabetespatienten der Fall.
3. Die Dokumentation und Kontrolle allgemeiner Hygieneregeln und -standards erfolgt nicht patientenbezogen oder in einzelnen Krankenakten, denn eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten.
4. Eine Haftung des Arztes oder der Klinik für eine Infizierung durch Keime kommt nur in Betracht, wenn die Keimübertragung durch die gebotene hygienische Vorsorge zuverlässig hätte verhindert werden können. Nur wenn feststeht, dass die Infektion aus einem hygienisch beherrschbaren Bereich hervorgegangen ist, hat der Behandelnde für die Folgen der Infektion einzustehen, sofern er sich nicht ausnahmsweise entlasten kann.
5. Dass man sich in jedem Krankenhaus möglicherweise mit Keimen infizieren kann und dass dieses Risiko bei einer Vorerkrankung oder dem Vorhandensein von Wunden erhöht ist, ist allgemein bekannt und nicht Gegenstand der besonderen Risikoaufklärung im Rahmen eines stationären Aufenthalts als solcher.
Verfahrensgang
LG Stendal (Entscheidung vom 30.11.2011; Aktenzeichen 21 O 295/09) |
Tenor
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 46.000 € festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt aus eigenem und übergegangenem Recht ihres verstorbenen Ehemanns Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen der nach ihrer Meinung fehlerhaften Behandlung ihres Ehemannes durch den Beklagten zu 2) im Klinikum der Beklagten zu 1). Der am 22.03.1939 geborene Patient starb am 17.11.2006 an Multiorganversagen auf Grund einer Sepsis nach einer Infektion mit einem multi-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA).
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere der erstinstanzlichen Anträge der Parteien, wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen. Der Nachweis eines Behandlungsfehlers sei nicht erbracht worden. Eine Blutuntersuchung habe entgegen der Ansicht der Klägerin nicht früher erfolgen müssen. Es sei auch zweifelhaft, ob sie zu einer früheren Diagnose der Sepsis geführt hätte. Eine frühere Verlegung in die Intensivstation, die von der Klägerin als notwendig erachtet wird, habe nicht erfolgen müssen. Gleiches gelte für eine frühzeitige Umkehrisolierung des Patienten, der zwar Diabetiker gewesen sei, aber nicht an einer Immunschwächekrankheit gelitten habe. Eine Verletzung von Hygienestandards als Ursache der Infektion hat das Landgericht ebenfalls verneint.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt. Sie sieht eine Verantwortung der Beklagten für den Tod ihres Ehemannes nach wie vor als gegeben an. Als Behandlungsfehler sei es vor allem anzusehen, dass bei der Wiederaufnahme in die Klinik am 06.11.2006 keine Blutuntersuchung auf Keime durchgeführt worden sei. Außerdem sei der Patient erst am 12.11.2006, mithin zu spät, auf die Intensivstation verlegt worden. Insgesamt hätte ihr Ehemann, so meint die Klägerin, besser abgeschirmt beziehungsweise isoliert werden müssen. Dass dies nicht geschehen sei, stelle einen "schweren" ärztlichen Behandlungsfehler dar. Der nach ihrer Meinung schwerwiegendste Fehler liege aber in den fatalen hygienischen Verhältnissen in der Klinik. Diese begründet sie beispielhaft mit der Behauptung, das Verbandsmaterial am Körper des Verstorbenen sei am 09.11.2011 urindurchtränkt gewesen, was eine Einbruchstelle für Infektionskeime dargestellt habe. Eine Verurteilung der Beklagten hätte, so meint die Klägerin weiter, schon deshalb erfolgen müssen, weil das Krankenhaus die Einhaltung der Hygienestandards nicht in der Patientenakte dokumentiert habe.
Der Verstorbene habe sich, so behauptet sie, mit dem Krankenhauskeim in der Klinik infiziert. Besonders kühn und einseitig zuspitzend sei dagegen die Einschätzung des Landgerichts, der eingetretene Infekt sei schicksalhaft und der Ehemann könne den Keim auch außerhalb des Krankenhauses erworben haben. Schließlich erhebt die Klägerin auch den Vorwurf einer fehlenden speziellen Risikobelehrung. Ihr Ehemann sei mehrfach vorgeschädigt gewesen und habe mehrfache Wundpforten aufgewiesen, durch die Keime hätten eindringen können. Über dieses besondere Risiko hätte er nach Ansicht der Klägerin aufgeklärt wer...