1 Der Fall
Der Fall ist in den Einzelheiten sehr tragisch und kompliziert und löste eine "Prozesslawine" aus, da es um die Geltendmachung von erheblichen Schadensersatzansprüchen ging. Der Fall betrifft den Deutschen Alpenverein (DAV), lässt sich aber in den Grundsätzen auf jeden Verein übertragen, der zu seiner Aufgabenerfüllung Ehrenamtliche einsetzt und es dabei zu Unfällen und Schädigung Dritter (Mitglieder/Nichtmitglieder) kommen kann.
Es ging um eine vom DAV e. V. organisierte Bergtour, die von einem Tourenführer des e. V. geleitet wurde. Teilnehmer waren zwei Personen. Durch einen Fehler des Tourenführers stürzte die gesamte Seilschaft an einer kritischen Stelle ab. Dabei kam der Tourenführer selbst zu Tode, die Klägerin in diesem Verfahren wurde schwer verletzt und ist seit dem lebenslang pflegebedürftig.
Die Klägerin hatte in einem anderen Verfahren vergeblich versucht, den DAV und dessen Repräsentanten zu verklagen.
Für dieses Verfahren hatten die Erben des getöteten Tourenführers dessen Ansprüche gegen den Verband an die Klägerin abgetreten, die diese jetzt im Wege der Klage gegen den DAV weiterverfolgte.
Eine sicher nicht alltägliche Situation, die im Weiteren nicht näher dargestellt werden soll, vielmehr geht in diesem Grundsatzurteil um die zentrale Frage, inwieweit ein Ehrenamtlicher durch den e. V. gegen Ansprüche von Dritten geschützt ist, d. h. einen Freistellungsanspruch gegen den Verein haben kann.
2 Das Urteil
Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass der Tourenführer des DAV gegen den Verband einen Freistellungsanspruch nach § 27 Abs. 3 i. V. m. § 670 BGB hat. Das OLG folgt insoweit der Rechtsprechung des BGH seit dem sog. "Pfadfinderurteil", das zentrale Bedeutung für die Vereinsarbeit hat.
- Ein ehrenamtlich tätiges Vereinsmitglied hat einen Anspruch gegen seinen Verein auf Freistellung von einer Schadensersatzpflicht, wenn es sich bei Durchführung einer ihm übertragenen Vereinsaufgabe einem anderen Mitglied gegenüber schadensersatzpflichtig macht.
- Grund: Ein Verein darf seine zur Durchführung schadensträchtiger Aufgaben eingesetzten Mitglieder nicht allein die Risiken aus der Aufgabenwahrnehmung tragen lassen.
Der Tourenführer hatte unstreitig eine Vereinsaufgabe wahrgenommen, da die Bergtour satzungsmäßige Aufgabe des DAV e. V. war.
Anmerkung: Es lag auch keine Reiseveranstaltung i. S. d. §§ 651a ff. BGB vor, da mit der Tour der originäre Satzungszweck verfolgt wurde.
Der Tourenführer hat im Auftrag des DAV für die Teilnehmer eine besondere Garantenstellung und Schutzfunktion wahrgenommen.
Entscheidend war dann die Frage des Verschuldens des Tourenführers. Hier kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass sein Verhalten weder als vorsätzlich noch als grob fahrlässig zu bewerten war.
Es lag jedoch eindeutig eine vorwerfbare Fehlentscheidung des Tourenführers bei der Sicherung der Seilschaft vor, die auch ursächlich für den Absturz war. Nach dem OLG war der Verschuldensgrad in den Bereich der mittleren, normalen Fahrlässigkeit einzuordnen, es lag damit kein Fall der leichten Fahrlässigkeit vor.
Das OLG nahm dann auf der Grundlage des § 254 Abs. 1 BGB (Haftungsverteilung bei Mitverschulden) eine Abwägung vor, um feststellen zu können, in welchem Umfang dem Tourenführer ein Freistellungsanspruch gegen den Verband zusteht. Also: wiegt das Verschulden des Tourenführers so stark, dass er den Schaden allein tragen muss oder kommt eine Teilung des Schadens zwischen ihm und dem DAV in Betracht?
Vor diesem Hintergrund kam das Gericht zu einer Aufteilung des Haftpflichtschadens der Klägerin aus dem Bergunfall im Verhältnis 70:30 zu Lasten des DAV.
Im Ergebnis muss daher der Verband den Tourenführer zu 70 % von den Schadensersatzansprüchen der Klägerin in Innenverhältnis freistellen. Da der Tourenführer getötet wurde, steht seinen Erben dieser Anspruch zu, den sie zulässigerweise an die Klägerin abgetreten hatten.
Der DAV hatte eine Vereinshaftpflichtversicherung mit 1 Mio. Euro Deckungssumme abgeschlossen, die den Gesamtschaden nicht decken kann, sodass der weitergehende Schaden durch den beklagten Verband zu tragen ist.
3 Hinweise für den Vorstand
- Zunächst macht dieser Fall deutlich, dass ehrenamtliche Tätigkeit nicht frei von Risiken ist und im Fall des Verschuldens im Rahmen eines Schadensfalles der Ehrenamtliche auch mit seinem Privatvermögen haftet.
- Dem Versicherungsschutz im Haftpflichtbereich kommt daher für die Praxis eine zentrale Bedeutung zu. Dabei ist die Frage der Deckungssumme – wie dieser Fall zeigt – entscheidend. Denn wenn die Deckungssumme nicht ausreicht, ändert dies nichts an der Haftung, sodass für den nicht gedeckten Teil der Schadensersatzforderung das Vereinsvermögen herhalten muss. Diese Abwägung und die Kalkulation des Risikos ist eine zentrale Aufgabe in Verantwortung des Vorstands.
- Als zweites Instrument muss in der Vereins- und Verbandsarbeit verstärkt über Regelungen zur Haftungsbeschränkung nachgedacht werden. Je größer die Risiken im Rahmen der Vereins- oder Verbandsaufgaben und je höher die zu erwartenden Schadensersatzforder...